Was hat Taiwan mit der DDR gemeinsam?
Mit dem Überwinden von Diktaturen hat er Erfahrung, war fürs DDR-Regime „Staatsfeind Nummer eins“ und saß aus politischen Gründen im Gefängnis. Nach der Wende wurde der Oppositionsführer Minister im ersten demokratisch gewählten DDR-Kabinett. Gerade hat Rainer Eppelmann zum dritten Mal Taiwan besucht.
Das Thema des Besuchs waren Vergangenheitsbewältigung und „Transitional Justice“ in Taiwan. Seit fast zwei Jahren ist dies ein sehr heiß diskutiertes Thema in Taiwan, denn die DPP-Regierung nutzt ihre parlamentarische Mehrheit und macht ernst mit weitreichenden Gesetzen. Die Durchleuchtung des KMT-Parteivermögens ist am weitesten vorangeschritten. Die Zukunft der Chiang-Kai-shek-Gedenkhalle, die Öffnung politischer Archive und der Umgang mit den Tätern aus Taiwans Zeit der Diktatur stehen noch auf der Agenda.
Statt hier ins Detail zu gehen, verweise ich auf einige Berichte, die ich in letzter Zeit in deutschen Medien platzieren konnte:
- Deutschlandfunk: Chiang Kai-sheks umstrittenes Erbe
- Deutsche Welle: Taiwans Präsidentin will Aufarbeitung der Diktatur-Zeit
- heute.de: Taiwan will von Deutschland lernen
Vorbildfunktion für Taiwan
Deutschlands Erfahrungen mit der Aufarbeitung des Dritten Reichs, vor allem aber des weniger lang zurückliegenden SED-Regimes in der DDR, spielt für Taiwan eine ganz wichtige Rolle. Weil die deutschen Schritte als vorbildlich gelten, hatte das Außenministerium auch Rainer Eppelmann eingeladen. Eppelmann ist Vorsitzender der 1998 gegründeten Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Zusammenarbeit mit anderen Ländern, die autoritäre Regime überstanden haben. Dazu gehören vor allem die Staaten des früheren Ostblocks, aber eben auch Taiwan.
Eppelmann und zwei Begleiter aus der Stiftung besuchten während ihrer Woche in Taiwan viele Regierungsbehörden, vor allem aber symbolträchtige Orte wie die Chiang-Kai-shek-Gedächtnishalle, Taipehs 228-Museum und das frühere Untersuchungsgefängnis Jingmei, wo während des Kriegsrechts politische Gefangene eingesperrt wurden und von Militärtribunalen abgeurteilt wurden. (Gemeinsam mit dem Gefängnis auf Green Island wird es bald in „Nationales Menschenrechtsmuseum“ umgetauft.)
Interview mit Rainer Eppelmann über Taiwan
Ich habe die Gelegenheit genutzt, Eppelmann nach seinen Erfahrungen in Taiwan zu fragen. Was fällt ihm auf, was hat sich verändert, wo liegen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zu Deutschland? Und welche Spielräume bleiben Taiwan und Deutschland angesichts des chinesischen Machtanspruchs?
Das Interview als Video:
Gegen Ende der Reise nahmen Eppelmann und der stellvertretende Geschäftsführer der Stiftung, Robert Grünbaum, in Taipeh an einer Podiumsdiskussion teil (die taiwantypisch mehr aus Statements als aus Diskussionen bestand).
Hohe Informationsdichte auf Deutsch und Chinesisch
Die ganze Veranstaltung wurde live ins Netz gestreamt und steht in sehr guter Bild- und Tonqualität als Video bereit. Alle Fragen und Antworten wurden live ins Chinesische bzw. Deutsche gedolmetscht, so dass dieses Video auch bei Taiwanern, die sich mit Deutschland befassen, auf Interesse stoßen dürfte.
Nachdem Eppelmann zu Beginn ausführlich die deutschen Erfahrungen beschreibt, schlägt man später den Bogen zu Taiwan. Besonders interessant fand ich Passagen, in denen es um die Psyche der Täter geht, die auch in unterschwelliger Angst leben – nämlich vor einer Rache ihrer Opfer. Friedliche Aussöhnung hilft somit beiden Seiten.
Taiwanische Journalisten fragten auch nach generellen Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland, wo ja z.B. das Zeigen von Hakenkreuzfahnen nicht geduldet wird. (Per Petition hatten einige Taiwaner erfolglos ihre Regierung aufgefordert, das Zeigen der chinesischen Nationalflagge im öffentlichen Raum zu verbieten, als Symbol eines Regimes, das Taiwan Demokratie vernichten will. Außerdem hatten am Vortrag vor dem Taipei 101 einige Demonstranten mit Nazisymbolen gegen das Deutsche Institut protestiert, aus lächerlichen Gründen.) Auf Englisch hat die Taipei Times einige wichtige Punkte ganz gut zusammengefasst.
Stummer Protest vor der Tür
Als dann draußen einige junge KMT-Unterstützer mit Plakaten aufzogen, führten sie der deutschen Delegation unmittelbar vor Augen, dass Taiwans ideologische Spaltung noch lange nicht überwunden ist. Was sie genau sagen wollten, blieb unklar, denn sie verbargen nicht nur ihre Gesichter, sondern blieben auch stumm. Offenbar protestierten sie gegen ihren Eindruck, Eppelmann habe sich mit der Parteivermögens-Kommission, Veranstalter an diesem Tag, gegen die KMT verschworen.
Bei der Deutschen Welle: Mein Bericht über Eppelmann in Taiwan
In meinem Video sehen Sie die englischen Plakate und die Reaktion von Sabine Kuder, die als einziges Delegationsmitglied nicht auf dem Podium saß und draußen vergeblich versuchte, mit den Demonstranten ins Gespräch zu kommen. Ich habe ihr dann auch noch einige Fragen gestellt.
Deutlich wurde jedenfalls, dass ausländische Gäste in Taiwan stets Gefahr laufen, politisch instrumentalisiert zu werden – und zwar von verschiedenen Seiten. Hätte das Außenministerium für Eppelmanns Delegation auch einen Termin in der KMT-Zentrale organisiert, wären es vielleicht nicht zu diesen Szenen gekommen und hätte auch en gutes Licht auf die Dialogbereitschaft von Taiwans großen Parteien geworfen.
Unterm Strich, so mein Eindruck nachdem ich die Delegation zu einigen Terminen begleitet hatte, war die Reise aber ein Gewinn an Eindrücken und Kontakten. Der Besuch des Jingmei-Gefängnisses, wo ein ehemaliger politischer Gefangener uns durch Zellen und Gerichtssäle führte, von seinem abgekarteten Prozess hier und seiner zwölfjährigen Haft auf Green Island berichtete, bleibt mir besonders in Erinnerung.
Auch auf Rainer Eppelmann, der in der DDR als Kriegsdienstverweigerer selbst im Gefängnis gesessen hatte, machte diese Begegnung offenbar besonderen Eindruck.
Das ist auch mein Tipp zum Abschluss: Besuchen Sie die (gut per MRT erreichbare) Gefängnisgedenkstätte Jingmei am Rande von Taipeh, am besten am gleichen Tag wie die Ausstellung im Sockel der Chiang-Kai-shek-Halle. Besser kann man Taiwans nicht aufgelöste historische Widersprüchlichkeiten kaum erfahren.
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