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Wieso gibt es immer wieder vermeidbare Unglücke in Taiwan?

Explosion in Taipeh

Zu viele hausgemachte Katastrophen

Deutschlands Perfektionismus hier, Taiwans Flexibilität dort – manchmal finde ich es erfrischend, in einem Land zu leben, wo es nicht alles haarklein per Vorschrift geregelt ist. Aber gerade im letzten Jahr haben sich in Taiwan einige Katastrophen ereignet, die mir zu denken gaben.

Explosion in Taipeh

Vielleicht haben sie es neulich gesehen, zum Beispiel in der Tagesschau: In einem Freizeitpark bei Taipeh entzündete sich in die Luft geblasenes Farbpulver. 500 Partygäste erlitten Verbrennungen durch den Feuerball, zwei sind bislang verstorben.

Das Unglück (Video) sorgte für Entsetzen, und viele fragen sich: Hat niemand daran gedacht, dass eine Stärkepulver-Staubwolke entflammbar ist? Stichwort: Mehlstaubexplosion. Wieso gab es nicht wenigstens ein Rauchverbot?

In meiner Heimatstadt fand vor ein paar Wochen übrigens eine ähnliche „Holi-Party“ statt. Nichts passierte.

Solche Farbpulver-Schlachten wird es auch nach den Ereignissen in Taiwan weiterhin geben. Angeblich lag es an der Art des verwendeten Pulvers, heißt es von Veranstaltern in Deutschland.

Im vergangenen Jahr gab es eine auffällige Häufung von Unglücken in Taiwan, die sich wohl am besten durch ein sehr laxes Verhältnis zu Regeln und Sicherheitsstandards erklären lässt.

Ein Rückblick darauf, was Taiwan zuletzt erschütterte:

Juni 2014

Eine unterirdische industriell genutzte Gasleitung explodiert in einem Wohngebiet, reißt kilometerweit Straßen auf (Video). 28 Tote.

Die Pipeline war vor Jahrzehnten vergraben worden, niemand fühlte sich so recht zuständig.

Juli 2014

Absturz eines Flugzeugs beim Anflug auf die Pescadoren, 48 Tote (Video).

Trotz schlechten Wetters und eingeschränkter Sicht gab es eine Landegenehmigung.

Januar 2015

Sechs Feuerwehrleute sterben, als eine brennende Bowlingbahn über ihnen zusammenbricht. Das Gebäude war illegal errichtet worden, hatte aber kürzlich noch eine Prüfung überstanden.

März 2015

Eine Passagiermaschine stürzt kurz nach dem Start spektakulär in einen Fluss in Taipeh (Video). 43 Tote.

Der Pilot hatte versehentlich das falsche Triebwerk ausgeschaltet. Obwohl er bei Tests schon auffällig schlecht abgeschnitten hatte, durfte er fliegen.

Nach vermeidbaren Unglücken immer das gleiche Muster

Jedesmal – wie nun auch nach der Brandkatastrophe – folgte auf den Medienaufschrei eine Phase des hektischen Aktionismus. Suche nach Verantwortlichen, Fingerzeigen, kurzfristig intensive Kontrollen. Nach ein paar Wochen geht es dann weiter wie immer. Taiwan ist eine der 20 oder 25 größten Volkswirtschaften und kann als entwickeltes Land gelten.

Warum erinnert in Sachen Sicherheitsdenken trotzdem einiges an Entwicklungsländer?

Es sind Probleme, die man auch aus Taiwans Straßenverkehr kennt, nur vergrößert, institutionalisiert und mit noch schlimmeren Folgen, falls etwas schiefgeht: Die Regeln stehen auf dem Papier, sind für die anderen da. Für viele sind sie im Alltag aber eher Richtschnur als Verpflichtung. Wird schon nichts passieren, man wurschtelt sich durch, und im Zweifelsfall gehen Bequemlichkeit oder Profit vor. Unruhestifter werden schief angesehen. Behörden ist es oft wichtiger, mit Unternehmen ein „harmonisches“ Verhältnis zu haben, als Regeln streng durchzusetzen. Statt harter Strafen wird eher mit dem Zeigefinger gedroht.

In seinem Blog bei Forbes hat Journalist Ralph Jennings sich kürzlich den Frust von der Seele geschrieben:

Government agencies charged with permits, inspections and policing tend to slack unless someone complains. Authorities might look the other way at a festering problem, … especially if big companies are behind it.

Auch lesen: 3 Gründe, warum Taiwaner ganz anders ticken als Deutsche

Diese Mentalität war vielleicht hilfreich in Taiwans Wirtschaftswunderjahren, als Wachstum um jeden Preis angestrebt wurde. Aber diese Zeiten sind vorbei. Den meisten Menschen geht es so gut, dass sie höhere Ansprüche an ihren Lebensstandard, ihre Konzerne und Beamten stellen.

Ich denke: Vermeidbare Unglücke wie diese können über kurz oder lang ein Umdenken bewirken. Bis dahin müssen aber wohl noch einige Kinder in den Brunnen fallen.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

6 Antworten

  1. Sicherlich gibt es sehr viele Gründe für das Problem. Vielleicht ist darunter die abergläubische Grundhaltung recht wirksam, dass alleine durch das Nachdenken über Dinge, die schief gehen können, Unglück „herbeigedacht“ und eine Leichtigkeit des Seins gestört werden könnte, derentwegen ich andererseits immer wieder gerne nach Taiwan komme.

  2. Du hast doch die Antwort schon gegeben: „Taiwaner sind keine Perfektionisten. Taiwaner scheuen Verantwortung. Taiwaner können über vieles hinwegsehen. “

    Treffend auch die Managerin des Parks: „WIr wussten nicht, dass das gefährlich ist.“ Hat die in der Schule geschlafen? Jeder weiß doch, dass mehlartige Substanzen hochgradig explosiv sind! Aber Taiwaner sind eben ignorant und oft ziemlich naiv! Man kann auch sagen: DUMM. Ich sage nur: Motorroller mit Gasflasche – sieht man doch überall in TW!

    1. Hallo Gert, ich wäre mit Pauschalurteilen und Begriffen wie „dumm“ zurückhaltend.

      Zu den Gasflaschen: Sie haben allerdings einen stabilen Kragen, der das Abschlagen des Gashahns effektiv verhindert.

      1. Grundsätzlich würde ich mich mit diesen pauschalen Verurteilungen auch sehr zurückhalten. Dem Kommentator möchte ich jetzt auch nicht pauschal verurteilen, jedoch würde ich derartige Kommentare eher von einem Leser der Bild-„Zeitung“ erwarten.

        Bez. der Gasflaschen auf Motorrädern: Die Wände der Flaschen bestehen laut meinen Informationen aus dickeren Stahl als in Europa und der Kragen schützt das Ventil an sich auch mehr als bei europäischen Flaschen. Aber wenn man wiederum bedenkt, dass derartige Flaschen mit Motorrädern auf ca. 100 Km/h beschleunigt werden, braucht man auch nicht bis zum Frühstück zu denken um zu merken, dass der eingebaute Schutz nicht ausreichend ist.

        Als Ingenieur bleibe ich grundsätzlich bei meiner Meinung: Gasflaschen gehören nicht auf Motorräder.

  3. Ich sag’s noch einmal: Als Student fand ich dieses Chaos, diese Suibian-einstellung wunderbar. Als Staatsangestellter, Steuerzahler und Hausbesitzer finde ich das alles sehr, sehr schrecklich. Und da ich hier im Süden keinerlei Fortschritt und Entwicklung erkennen kann, orientiere ich mich langsam wieder ‚gen Westen, haha!

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