Deutschlands starke Seiten
Auch in Taiwan blickt man mit Respekt auf die deutsche Wirtschaft. Worauf beruht dieser Erfolg? Ich habe mal versucht, einige Gründe zu erklären.
Neulich ging es hier bereits darum, wie ich vor etwa 100 Schülern in Taiwan einen Vortrag über Deutschland hielt.
Nachdem ich ihnen die Besonderheiten des deutschen Schul- und Ausbildungssystems vorgestellt hatte (Trennung auf drei Schularten, weniger Unterricht und Hausaufgaben als in Taiwan, Ausbildung direkt in den Betrieben), drehte der Rest meines Vortrags sich um die deutsche Wirtschaft. Warum steht sie so gut da?
Auch Taiwan ist ja eine Exportwirtschaft, mit Elektronik statt Autos und Maschinen wie bei uns. Hier macht man sich übrigens eher Sorgen, dass der Taiwandollar zu stark aufwertet und so die eigenen Produkte im Ausland teurer werden. Dass viele Deutsche am liebsten eine möglichst starke Währung wollen, finden viele merkwürdig.
Es geht darum, Sachen herzustellen
Ein Blick auf die Statistiken zeigt auch, was in Taiwan und Deutschland ähnlich ist: In beiden Ländern ist die Industrie nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftszweig.
In Deutschland macht sie noch mehr als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, der Rest sind vor allem Dienstleistungen. In Ländern wie Großbritannien oder den USA ist ihre Bedeutung in den letzten 30, 40 Jahren viel rasanter geschrumpft – China lässt grüßen. In Taiwan spielt sie mit ca. 30 Prozent noch eine größere Rolle, aber auch hier geht der Trend in Richtung „postindustrielle Gesellschaft“.
Deutsche Langfristigkeit
Ganz anders dagegen funktioniert Taiwan, wenn es um langfristige Planung geht. Die ist oft nicht so wichtig. Welche Rolle Traditionsbewusstsein dagegen in Deutschland spielt, habe ich mit einigen Beispielen untermauert: Wussten Sie, dass das deutsche Reinheitsgebot, das erste Gesetz der Welt zur Lebensmittelqualität, bald 500 Jahre alt wird? Auch, dass die deutsche Autoindustrie auf Karl Benz’ ersten Kraftwagen von 1888 zurückgeht, sorgte bei den Schülern für einen Aha-Effekt.
Bosch, Bayer, Siemens: Drei weltbekannte deutsche Konzerne, die auch hier in Taipeh Niederlassungen haben. Wann wurden sie gegründet? 1886, 1863 und 1847.
In Taiwan dagegen gilt ein Unternehmen mit 30 oder 40 Jahren Tradition schon als alteingesessen. Und viele Mittelständler sind eher daran interessiert, schnell viel Geld zu machen, als ihre Firma langfristig aufzubauen.
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Kein Wunder, dass Taiwan bislang nur wenige Marken etabliert hat, die man auch im Ausland kennt. Asus, Acer und HTC gehören dazu, und bei Fahrrädern Giant.
Perfektionismus vs. Flexibilität
Und noch ein Punkt, den ich wichtig finde: Der typisch deutsche Perfektionismus. Wenn wir etwas machen, dann normalerweise ordentlich und von Anfang bis Ende einwandfrei. Ob die Arbeit von Handwerkern oder die Pflege der Vorgärten – immer wenn ich zum Heimaturlaub nach Deutschland zurückkomme, fällt mir das auf.
Kein Pfusch, kein halber Kram – das ist wohl einfach Teil unserer Mentalität. (Großbauprojekte mal ausgenommen.)
Hier in Taiwan heißt es dagegen im Zweifelsfall eher „Passt schon ist gut genug“. Geschäfte, Häuser, Produkte – was ist schon für die Ewigkeit?
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Natürlich hat jede Medaille zwei Seiten. Was mir in Taiwan positiv auffällt, ist eine größere Flexibilität. Die Umstände ändern sich, also kann man nicht alles ewig gleich machen. Ein neuer Job, ein Umzug, eine kurzfristige Planänderung – alles ganz normal.
Das hält wach, und ein bisschen mehr davon würde ich mir für Deutschland manchmal auch wünschen.
Und wie würden Sie die Unterschiede zwischen Taiwan und Deutschland auf den Punkt bringen?