Ich erzähl‘ Schülern was von Deutschland
So werde ich selten empfangen: Am Schultor prangte ein extra gedrucktes Plakat mit meinem Namen. „Lehrer“ stand auf Chinesisch noch dahinter. Dabei sollte ich doch nur eine Doppelstunde lang einen Vortrag über meine Heimat halten.
Grob vereinfacht ist Deutschland hier etwa so präsent wie, sagen wir mal, Japan für Deutsche. Es kommt in den Medien vor, weil es ziemlich groß und nicht unwichtig ist. Man hat ein paar Allgemeinplätze im Kopf, aber wie es dort wirklich zugeht, weiß man eigentlich nicht.
Hallo, Klasse!
Vorne hatte ich eine Deutschlandflagge übers Pult gelegt. Etwa 100 Schüler füllten die Sitzreihen. Ihre Schuluniformen erinnern mich immer an Jogginganzüge. Einige der 15- bis 17-Jährigen lernen Deutsch als zweite Fremdsprache. Ihre taiwanische Lehrerin hatte mich eingeladen.
Wahrscheinlich ging es vor allem darum, dass die Teenager mal einen leibhaftigen Deutschen zu Gesicht bekommen.
Die Zuhörer begrüßen, mich vorstellen, von meiner ersten Reise nach Taiwan 2008 und meiner Arbeit heute erzählen – das alles ist auf Chinesisch nach zig Wiederholungen inzwischen eine meiner leichteren Übungen. So erläuterte ich dann auch die deutsche Bevölkerungszahl.
Als ich dann aber die Folien zum eigentlichen Thema an die Wand warf, war es doch besser, dass die Lehrerin für mich übersetzte. Ohne präzises Fachvokabular ging es nicht. Das deutsche Schul- und Ausbildungssystem sollte ich nämlich erklären. Und das durchblicken wir ja nicht mal selbst in allen Feinheiten.
Taiwan und das US-System
Dass von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Regeln gelten, ist schon mal nicht ganz leicht zu vermitteln. Taiwans Schulsystem ähnelt dem amerikanischen: Sechs Jahre Grundschule, je drei Jahre Mittel- und Oberschule.
Jetzt anhören: Ausflug in eine Dorfschule in Taiwan
Es gibt die Möglichkeit, nach der neunten Klasse auf eine Art Berufsfachschule zu wechseln, aber das ist nicht üblich – die meisten Eltern wünschen sich, dass der Nachwuchs an der Uni landet, statt mit den Händen zu arbeiten.
Aber auch in Deutschland besuchen ja mittlerweile mehr als 40 Prozent das Gymnasium. Was die jungen Taiwaner viel mehr erstaunte: Unser Aussieben und Trennen nach dem vierten Schuljahr. Nicht nur ich finde das zu früh, um die Weichen für die Zukunft zu stellen.
Ein bisschen neidisch wurden sie dann wohl, als sie erfuhren, dass deutsche Schüler oft schon am frühen Nachmittag nach Hause kommen und normalerweise keine privaten Nachhilfekurse besuchen. In Taiwan haben viele Jugendliche so gut wie keine Freizeit, weil die Lernerei vom Morgen bis in den Abend dauert. Neulich erst sah ich an einem sonnigen Samstagmorgen um neun Uhr Teenager gruppenweise eine Paukschule betreten.
Erfolgsmodell Duale Ausbildung
Genau erklären musste ich auch das deutsche Ausbildungssystem, das mit der Kombination aus Betrieb und Berufsschule qualifizierte Fachkräfte garantieren soll. In Taiwan haben die meisten Berufe keine regulierte Ausbildung. Der Nachwuchs wird halt irgendwie angelernt. Interessant fanden die Schüler ein Video, mit dem BMW um Mechatroniker-Azubis wirbt.
Auch Taiwan steht ein Fachkräftemangel bevor, aber dass ein großer Konzern sich derart bemüht, ist wohl nicht üblich.
Gilden und Kammern
Betont habe ich die Rolle von IHK und anderen Verbänden, die in Deutschland die Ausbildung organisieren und beaufsichtigen, statt alles dem Staat zu überlassen. Ihre Urahnen waren ja die Handwerks- und Kaufmannsgilden im Mittelalter.
Und so kam ich auf den Punkt „Traditionsbewusstsein“, der wohl mit dafür sorgt, dass die deutsche Industrie noch immer ganz gut dasteht.
„Wieso ist Deutschlands Wirtschaft so stark?“, das höre ich hier oft. Welche Gründe mir dazu eingefallen sind, erzähle ich hier ein anderes Mal.
Haben Sie schon mal besondere Erfahrungen gemacht, wenn es in Taiwan um Deutschland ging?
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