Wenn China mit Krieg droht, interessieren die Medien sich sogar für Taiwan (obwohl das nichts Neues ist)
Das Jahr 2019 begann für Taiwan mit einigen Paukenschlägen. So viele internationale Schlagzeilen gab es lang nicht mehr. Und dann auch noch eine herausragende Sendung im deutschen Radio! Und eine Frage, die ich der Präsidentin stellen konnte. Was ist passiert?
Wie heißt es auf Twitter oft so schön: Die Dinge eskalierten rasch. Das betraf in diesem neuen Jahr auch Taiwan, zumindest medial.
Neujahrsansprache von Tsai Ing-wen
Am 1.1. hielt Präsidentin Tsai Ing-wen ihre Neujahrsansprache, die erste große Rede nach den DPP-Niederlagen in den Regionalwahlen im November und ihrem Rücktritt als Parteivorsitzender.
In dieser Ansprache (englische Übersetzung) rief sie China (im Original 中國) auf, die Existenz der Republik China/Taiwan (im Original 中華民國臺灣) zur Kenntnis zu nehmen, das Bekenntnis der Taiwaner zu Freiheit und Demokratie zu respektieren und auf Augenhöhe miteinander zu verhandeln.
Taiwan-Rede von Xi Jinping
Für internationales Aufsehen sorgte dann aber erst am 2.1. die lange angekündigte erste Grundsatzrede von Xi Jinping zu Thema Taiwan. Anlass war der 40. Jahrestag der „Botschaft an die Landsleute in Taiwan“, mit der 1979 die chinesische Führung im Zuge der damals neuen Öffnungspolitik von Deng Xiaoping zu Zusammenarbeit und Vereinigung aufgerufen hatte. Unmittelbar zuvor hatten die USA ihre diplomatischen Beziehungen mit Taipeh zugunsten Pekings abgebrochen.
In seiner Rede (englische Zusammenfassung) stellte Xi klar, ein Anschluss Taiwans an die Volksrepublik habe für ihn nach wie vor oberste Priorität. Von diesem Ziel lasse China sich durch „Separatisten“ oder ausländische Kräfte nicht abbringen, und man behalte sich auch den Einsatz militärischer Gewalt vor. (Zugleich sagte er „Chinesen kämpfen nicht gegen Chinesen.“)
Aus Peking wenig Neues
Das meiste, was Xi sagte, war eigentlich längst bekannt. Bemerkenswert aus Sicht Taiwans war vor allem, dass er das Konzept des „Konsens von 1992“ erstmals eindeutig mit dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ verknüpfte bzw. gleichsetzte.
Aus Sicht der Opposition in Taiwan bedeutet der „Konsens von 1992“ ja „Ein China, verschiedene Interpretationen“ und lässt damit Raum für die Existenz der Republik China. Die ursprünglich für Taiwan entworfene, dann auf Hongkong und Macao angewendete Formel „Ein Land, zwei Systeme“ bedeutet dagegen lediglich begrenzte Autorität unter Oberhoheit der Volksrepublik.
Tsais Reaktion
Postwendend trat Tsai am selben Tag vor die Kameras und stellte klar (englische Übersetzung), Taiwans Gesellschaft lehne „Ein Land, zwei Systeme“ ab. Außerdem solle Peking sich aus Taiwans Innenpolitik heraushalten und insbesondere nicht an der demokratisch legitimierten Regierung vorbei Gespräche mit einzelnen gesellschaftlichen Gruppen oder Parteien führen.
Plötzliches Medieninteresse
Zu diesem Punkt waren die internationalen Medien schon auf das Thema angesprungen, hatte Xi doch den Begriff der militärischen Gewalt benutzt. Damit waren aus Sicht der Medien endlich mal wieder genügend Nachrichtenfaktoren erfüllt, um Taiwan prominent zu thematisieren:
- Prominenz (Der Chef selbst sagt etwas!)
- Negativität (Es droht Krieg!)
- Tragweite (Sogar Krieg zwischen China und den USA?!)
- …und außerdem war der 2. Januar ansonsten ein eher nachrichtenarmer Tag.
Wie deutsche Medien ticken, wenn es um Taiwan geht, hatte ich vor einiger Zeit bereits analysiert.
Diesmal erreichte die Nachricht den Status „lief sogar in der 20-Uhr-Tagesschau“.
Dass in vielen Fällen mal wieder problematische Begriffe wie „Wiedervereinigung“ oder „abtrünnige Provinz“ (mein persönliches „Hasswort“) unkritisch verwendet wurden, überraschte mich nicht und Sie als vorgebildeten Leser wohl auch nicht mehr.
Mein Bericht für n-tv.de
In solchen Situationen, wenn große Nachrichtenagenturen einsteigen (und den Redaktionen Gratisberichte frei Haus liefern) und die Chinakorrespondenten in Peking, Shanghai oder Hongkong aktiviert werden, ist es nicht ganz einfach, als kleiner Einzelkämpfer in Lücken zur Berichterstattung zu stoßen. In diesem Fall gab n-tv.de mir Gelegenheit, am Vormittag des 3.1. mit ein wenig analytischem Abstand auf die Ereignisse zu blicken.
Hier steht der Text zum Nachlesen.
Das passende Foto dazu knipste ich beim Zeitungskauf im Convenience Store um die Ecke.
Nur „wenige Separatisten“ wären im schlimmsten Fall Ziel eines militärischen Angriffes, sagte Chinas Präsident Xi. Als könnten Raketen unterscheiden, wen sie treffen. #Taiwan via @taiwanreporter https://t.co/WUtgOkPpAN
— n-tv.de Politik (@ntvde_Politik) 3. Januar 2019
Lesenswert fand ich, was meinem deutschen Blogger-Kollegen Dennis alias Taiwanoca aus den Tasten floss: Ein Interview mit einem fiktiven Taiwanexperten, der die Dinge ganz gut auf den Punkt bringt. Schon die Überschrift ist prima: „Ein Spiegel der Zeit im Fokus.“
„Der Tag“ auf hr2 widmet sich Taiwan
Richtig gefreut hat mich dann, dass eine der besten deutschen Radiosendungen endlich auf Taiwan aufmerksam wurde: „Der Tag“ vom Hessischen Rundfunk widmet sich jeden Tag fast eine Stunde lang nur einem Thema und beleuchtet es aus unterschiedlichen Perspektiven. Am Ende steht dann meist echter Erkenntnisgewinn.
Schon als ich vor 10 Jahren nach Taiwan kam und das Wort „Podcast“ noch gar nicht hip war hörte ich mir die Sendung oft an und staunte, wie die Kollegen es immer wieder schaffen, zugleich aktuell, hintergründig und ausführlich zu berichten. Oft hatte ich mir gewünscht, dass es auch einmal einen „Tag“ zum Thema Taiwan gibt. Im Lauf der Jahre hatte ich auch schon mal per Mail und in persönlichen Gesprächen versucht, die Kollegen in Frankfurt dafür zu sensibilisieren. Aber es hatte halt nie gereicht. Nachrichtenlage, Nachrichtenfaktoren und so.
Aber nun war es so weit, und ich war an Bord. Spät am 4.1. (Ortszeit Taiwan) führte der Moderator ein Telefoninterview mit mir, das aufgezeichnet wurde und dann in der Sendung ab kurz nach 18 Uhr deutscher Zeit als zweiter Beitrag lief.
Zunächst mal: Hier ist der Link zum Nachhören der ganzen Sendung.
Krieg um Taiwan? HR 2 @DerTag heute im Gespräch mit @taiwanreporter und mir. Zum Nachhören https://t.co/tAXLtE6pJR
— Lorenz Hemicker (@hemicker) 4. Januar 2019
Meine Rolle im Konzept dieser Sendung war es, als vor Ort Lebender zu schildern, wie die Menschen in Taiwan über die Situation denken und wie sie damit umgehen, unter einer permanenten Bedrohung zu leben.
Hier ist die Struktur der Sendung:
- Beitrag von Martin Fritz, Korrespondent in Tokio (bei der ARD für Taiwan zuständig): Wie reagierte Taiwan auf die Rede von Xi?
- Interview mit mir (von 06:10 bis 17:00).
- Beitrag von Steffen Wurzel, ARD-Hörfunkkorrespondent Shanghai: Historische Hintergründe und Entwicklungen.
Es gehört zur Strategie der chinesischen Staats- und Parteiführung, so zu tun, als sei nur eine kleine Minderheit der Taiwaner gegen einen Anschluss an die Volksrepublik. Tatsächlich ist es umgekehrt.
- Interview mit Frédéric Krumbein, Stiftung Wissenschaft und Politik: Stand und Status von Taiwans Demokratie. (Aufsatz von ihm: „Taiwan als Demokratievorbild in Asien“)
Taiwan ist de facto eben ein eigener Staat.
- Beitrag von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkkorrespondent Brüssel: Das Verhältnis der EU zu Taiwan und China.
- Interview mit Shieh Jhy-wey, Repräsentant Taiwans in Deutschland: Diplomatische Arbeit ohne offizielle diplomatische Beziehungen.
Als U-Botschafter tauche ich manchmal dort auf, wo die großen Brüder mich nicht hindern können, meiner Arbeit nachzugehen.
- Interview mit Lorenz Hemicker, Redakteur FAZ: Chinas Strategie und Kriegsgefahr. (Analyse von ihm bei FAZ.NET)
Das ist ein sehr riskantes Spiel und ein Krieg wäre der helle Wahnsinn.
- Zwischendurch gibt es zur Auflockerung die Lesung eines angeblich taiwanischen Märchens, vermutlich eine Ureinwohner-Legende.
Nun lassen sich natürlich auch einer Sendung wie dieser einige Haare in der Suppe finden. Beispiele:
- Taiwan liegt nicht im Südchinesischen Meer.
- Der „Konsens von 1992“ beinhaltet (zumindest ursprünglich, trotz Xis Aussagen) nicht das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“.
- Internationale Airlines schreiben statt „Taiwan“ neuerdings nicht „Volksrepublik China“ sondern meist „Taiwan, China“.
- Tsai hatte in ihrer Neujahrsansprache nicht anklingen lassen, dass Taiwan unabhängig werden will, sondern, dass es unabhängig bleiben will.
Aber das, wie auch die ausschließlich männliche Besetzung, ändert nichts daran: Dies war eine herausragende Sendung (und nicht in erster Linie wegen meines Interviews), die jeder Taiwan-Interessierte im deutschen Sprachraum sich anhören und auch anderen zu hören geben sollte.
Tsai trifft die internationale Presse
Als wäre die Woche noch nicht ereignisreich genug gewesen, lud das Präsidialamt für den Samstagvormittag (5.1.) noch die internationalen Medienvertreter zu einer Pressekonferenz mit Tsai Ing-wen in den Präsidentenpalast. Da sie seit ihrem Amtsantritt ausländischen Medien nur selten Interviews gibt, war dies natürlich ein wichtiger Termin, und ich war mit meiner Videokamera vor Ort.
Nach einem eher wenig relevanten Teil „off-the-record“ durften wir die Kameras wieder anschalten, und Tsai gab ein Statement auf Englisch ab.
Es folgte ein Q&A, wobei Tsai für die Antworten nun wieder ins Chinesische wechselte. Auch ich meldete mich und wurde aufgerufen.
Meine Frage: Im Ausland gab es großes Medienecho, aber oft kam die Situation wie eine Angelegenheit nur zwischen Taiwan und China rüber. Was wünscht Taiwan sich in dieser Lage von Ländern wie Deutschland?
In ihrer Antwort ging Tsai allerdings nicht gezielt auf Deutschland sein, sondern allgemein auf Taiwans Rolle in der Gemeinschaft anderer Demokratien.
Die Antwort gipfelte in einem Satz, der wiederum von vielen Medien, auch von den großen internationalen Nachrichtenagenturen, aufgegriffen und weiter transportiert wurde:
Wenn die internationale Gemeinschaft Taiwan unter diesen Umständen nicht beisteht, dann kann man sich fragen: Welches Land wird das nächste sein?
Was kommt noch?
So, nun sind Sie informiert, wie es Taiwan in diesen ersten Tagen des neuen Jahres in den Medien ergangen ist.
Hoffentlich gibt es 2019 noch viele Schlagzeilen – und gerne auch in positiveren Zusammenhängen!
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9 Antworten
Danke für die Zusammenfassung und den Einsatz Taiwan und die Anliegen der Bewohner bekannter zu machen.
Meines Erachtens sind die grossen Worte von Winnie the Xi vor allem ans eigene Publikum in China gerichtet: Benzin aufs nationalistische Feuer, um von Handelskrieg und wirtschaftlicher Stagnation abzulenken. Global lenkt diese verbale Eskalation auch von der Kritik an Umerziehungslagern in Xinjiang und der Unterdrückung von Muslimen und Christen ab – sehr praktisch.
Auf Grund der realökonomischen Bedeutung Taiwans als Investor in China und der engen Verflechtung der Industrien beider Länder rechne ich nicht damit, dass Xi seinen grossen Worten Taten folgen lässt. Eine militärische Invasion birgt zu viele Risiken, und Peking will keinen Trümmerhaufen übernehmen, sondern eine funktionierende, weit entwickelte Wirtschaft.
Wer für Demokratie und Menschenrechte ist, stellt sich auf die Seite von Taiwan und zeigt China klare Grenzen auf.
Das ist zwar im Prinzip alles nichts neues.
Diesmal gibt es allerdings einen Unterschied.
Das einzige Land, das Taiwan eventuell militärisch beistehen würde, die USA, ist derzeit praktisch außer Betrieb. Der Idiot im Weißen Haus ist voll damit bschäftigt seinen Wählern diese Mauer zu bauen. Truppen werden aus anderen Teilen der Welt zurückgezogen. Interesse an Taiwan ist bei Trump nun wirklich nicht erkennbar.
Xi Jinping hat ein letztes großes Thema auf seiner Agenda und das heißt Lösung der Taiwan-Frage. Ich könnte mir vorstellen, dass er diese Situation als historisch einmalige Chance wahrnimmt, Taiwan zu übernehmen. Das könnte ohne allzugroßes Blutvergießen innerhalb von wenigen Tagen gelingen. Die Armee von Taiwan wäre derart überfordert, dass ich mit einer schnellen Kapitulation rechnen würde.
Was der Rest der Welt in solchen Fällen macht, haben wir bei Putins Krim-Annektion gesehen, nämlich sehr wenig. Hier würde es ähnlich aussehen, nur, dass China mächtiger ist als Russland und Taiwan noch schwächer als die Ukraine. Daher dürfte die Reaktion noch schwächer ausfallen.
Das Zeitfenster schließt sich sobald Trump weg ist. Und das kann sehr bald der Fall sein. Warten wir es ab…
Ja, das sind Überlegungen und Befürchtungen, die man sich in Taiwan natürlich auch macht. Zu jedem Argument gibt es „ja, aber…“, zum Beispiel…
– Xi hat auch noch das Südchinesische Meer zum Krisenherd gemacht, könnte die Hände voll haben, antagonisiert immer mehr Akteure gegen China
– Trumps Regierung zeigt mehr Engagement in Asien als die USA unter Obama (als der von Hillary Clinton ausgerufene „Pivot to the Pacific“ kaum Konsequenzen hatte)
– Pentagon und US-Kongress haben gesteigertes Interesse an Taiwan, völlig ignorieren kann Trump sie auch nicht (Taiwan Relations Act hat Gesetzeskraft)
– Erfolg einer chinesischen Invasion halten einige Militärexperten für sehr fraglich, es würde wohl eher auf Blockade hinauslaufe bei gleichzeitigem Hinaushalten der USA
usw. usw. … klar ist nix.
Ich bezog mich natürlich auf den langen HR2-Beitrag 🙂
Tatsächlich ein Highlight der Sendungen, die sich in den letzten Jahren mit Taiwan beschäftigt haben. Sehr gute, ausgewogene und fundierte Analyse von Dir! Ich hoffe, die laden Dich nochmal ein, obwohl Du den dramatisierenden Spannungsbogen der einleitenden drei Minuten geerdet hast 🙂
Danke. Ja, das war meine Absicht. Zu viel Drama!
Freut mich, wenn das mal ein enig differenziert betrachtet wird und die ganze Panikmache etwas zur Ruhe kommt.
Gleichzeitig beunruhigt mich das, wenn ich weiss, dass selbst Akademikerpaare in Taiwan mal kurz mit dem Gedanken spielen, für die Geburt eines Kindes in die USA zu fliegen, damit das Kleine für den Fall der Fälle einen US-Pass hat… Das zeigt dann schon auch ein wenig Nervosität.
Danke jedenfalls für den Bericht und die Presscoverage!
Gern geschehen.
Dieser US-Geburtstourismus und die Absicherung über weitere Pässe haben in Taiwan Tradition bis in die 1970er zurück, so weit ich weiß. Sobald einige es sich leisten konnten und ausreisen durften.