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Trump telefoniert mit Tsai – Medien machen Panik

2016-12-04-1

Wie Hysterie und vorgefasste Meinungen Taiwan nicht gerecht werden

Huch, was war denn da passiert? Gestern war Taiwan plötzlich der Aufreger des Tages. Medien weltweit und auch in Deutschland überschlugen sich mit Meldungen.

Normalerweise interessieren sie sich kaum so flächendeckend für Taiwan, es sei denn, es gibt Wahlen, Naturkatastrophen oder schräges irrelevantes Zeug zu vermelden.

Gestern war es nichts davon, das Claus Kleber dazu brachte, im ZDF Heute-Journal mal wieder daran zu erinnern, wo Taiwan überhaupt liegt. Gestern war es Donald Trump.

Was war passiert? Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hatte Trump angerufen, ihm zum Wahlsieg gratuliert und die Gelegenheit genutzt, die Bedeutung von guten Beziehungen zwischen den USA und Taiwan zu betonen. Zehn Minuten soll das Gespräch gedauert haben.

Klingt nicht spektakulär? War es auch nicht. Weil sich trotzdem die amerikanischen Medien darauf stürzten (dazu gleich mehr), sah Trump sich veranlasst, zwei Tweets zum Thema abzusetzen. Danach ging es erst richtig los!

Donald Trump Tweets Taiwan

Unwissend, unbedacht oder zumindest unverantwortlich habe Trump fast vier Jahrzehnte amerikanischer Chinapolitik über den Haufen geworfen und damit globale Spannungen beschworen, lauteten die Vorwürfe.

Jeder Trump-Tweet ein neuer Aufreger

Die Sau, die da unter dem Deckmantel geopolitischer Kompetenz und Weitsicht durchs mediale Dorf getrieben wurde, offenbarte aber ein ganz anderes Problem: Die meisten Medien haben sich daran gewöhnt, jede neue Trump-Nachricht zugleich zu sensationalisieren (das war schon vor der US-Wahl so und hat ihm überhaupt erst zum Sieg verholfen) und in Grund und Boden zu kritisieren (das vor allem seit der Wahl, zuvor zeigte man eher kopfschüttelnde Faszination). Ein hilfloses Mediensystem, das Trumps Tweets nur hinterherhecheln kann, verschanzt sich hinter der Botschaft: Ein unberechenbarer Irrer kann auch nur irres Zeug zustande bringen.

Wird dieser Beitrag eine Trump-Verteidigungsrede? Nein. Seine Wahl ist auch in meinen Augen verhängnisvoll für die Welt, vor allem aus umwelt- und sozialpolitischen Gründen. Dass er im Wahlkampf Rassismus und andere -ismen befeuert hat, dass er offenbar ein geltungssüchtiger Profilneurotiker ist, ohne jede Regierungserfahrung – das ist ja unbestritten.

Jetzt lesen: Was bedeutet Trump für Taiwan?

Aber das heißt doch nicht, dass alles, was er nun tut, reflexhaft als Akt des Wahnsinns zu verurteilen ist. Was soll das bringen? Soll das nun vier Jahre lang so weitergehen?

Hoffnung auf andere Taiwanpolitik

Seit vielen Jahren waren Taiwaner und Taiwanexperten frustriert darüber, dass ihre Demokratie und sonstigen Errungenschaften im Weißen Haus immer weniger gewürdigt wurden. Ronald Reagan hatte noch Vertreter zur Feier seiner Amtseinführung eingeladen (und da war Taiwan noch gar keine Demokratie).

Barack Obama dagegen enttäuschte die in ihn gesetzten Hoffnungen auch in dieser Hinsicht. Er zeichnete einige Waffenlieferungen ab, wie alle Präsidenten vor ihm seit Jimmy Carter, der die diplomatischen Beziehungen 1979 abgebrochen hatte. Ansonsten fasste Obama Taiwan nur mit ganz spitzen Fingern an, ignorierte seine Existenz in offiziellen Statements sogar dann, wenn es um den „Pivot to Asia“ und die US-Strategie im Pazifik, also die Eindämmung Chinas ging – wobei Taiwan dank seiner Lage natürlich eine Schlüsselrolle einnehmen müsste.

Karte Taiwan strategische Lage

Dass er vor ein paar Monaten Taiwan in einem Atemzug mit Japan und Südkorea als Beispiel für eine gefestigte Demokratie erwähnte, war schon das höchste der Gefühle.

Das alles spielte natürlich Chinas Strategie in die Hände, die Taiwanfrage als strikt intern chinesische Angelegenheit darzustellen und seine langfristige Einflussnahme weiter auszubauen, bis zum Fernziel Anschluss an die Volksrepublik. („Wiedervereinigung“ wäre hier der falsche Begriff, „Vereinigung“ ist mir zu schwach.)

Wie könnte, wie sollte Washington da gegensteuern? Die Vorschläge von Taiwan wohl gesinnten Diplomaten, Politikern, Lobbyisten, Kommentatoren und sonstigen Bescheidwissern lagen schon lange auf dem Tisch.

Nehmen wir mal William Stanton. Als Krönung seiner Diplomatenlaufbahn war er von 2009 bis 2012 Direktor des Amerikanischen Instituts in Taipeh, also quasi der US-Botschafter in Taiwan. Mittlerweile ist er pensioniert, lebt aber noch immer in Taipeh und unterrichtet an einer Uni. Gehen wir mal davon aus, dass Taiwan ihm etwas bedeutet.

Ich kenne Stanton persönlich und kann sagen: Der Mann ist kein Anhänger von Donald Trump. Aufgewachsen in einer italoamerikanischen Familie in New York entspricht sein Profil auch eher dem prototypischen Hillary-Wähler. Immer wieder plädierte er in den vergangenen Jahren für eine US-Politik, die Taiwan nicht mehr ignoriert, sondern stärker in den Fokus rückt. Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte er wieder so einen Text.

Solche Forderungen laufen meist darauf hinaus, dass die USA großen Spielraum hätten, Taiwan zu stärken, ohne die roten Linien der Ein-China-Politik zu überschreiten. Diese Politik ist ja ein komplexes Gebilde, das bestimmt wird durch den Taiwan Relations Act, die Shanghai-Kommuniques, Reagans Sechs Zusicherungen, Bill Clintons „Drei Nein“ und andere zum Teil widersprüchlich scheinende Verlautbarungen und Vereinbarungen (hier eine Übersicht). Wichtig ist es, nicht zu vergessen: Die USA nehmen Pekings Machtanspruch über Taiwan nur zur Kenntnis („acknowledge“), sie erkennen ihn nicht an.

Tagesschau Trump Taiwan

Was Trump nun getan hat, entspricht genau solchen Forderungen: Durch sein Telefonat mit Tsai, sein öffentliches Statement und sein Dankeschön hat er Taiwan internationale Aufmerksamkeit gebracht, die Bedeutung der Beziehungen betont und China deutlich gemacht, dass die USA Taiwan nicht vergessen haben.

Und: Er hat die letzte und beste Gelegenheit dazu benutzt, denn ist er erst einmal vereidigt, dann muss er mit solchen Statements in der Tat etwas zurückhaltender sein. (Das gilt für viele Fragen, uns es wird spannend zu sehen, ob Präsident Trump sich tatsächlich eher zurücknehmen kann als der designierte Präsident Trump).

Jetzt lesen: USA, Taiwan, China – ein vertracktes Beziehungsdreieck

Festzuhalten ist: Trump hat in diesen Tagen kein Amt. Er ist offiziell noch Privatmann. Nirgendwo ist festgehalten, dass ein president elect nicht mit dem Präsidenten von Taiwan reden darf. Dass es seit 1979 keinen bekannt gewordenen Fall gab, beweist nicht das Gegenteil.

Die Medien erledigen Chinas Propaganda gleich mit

Die Medien aber, getriggert durch „Trump“, „China“, „Kritik“, hatten wenig übrig für solche Feinheiten. Die tausendfach nachgebetete Stoßrichtung hieß: Der unverantwortliche Tölpel Trump stößt mit dem Hintern ein, was über Jahrzehnte aufgebaut wurde, und beschwört ohne Grund Spannungen mit China herauf.

Für die Machthaber in Peking muss es ein Fest gewesen sein, diese Reaktionen zu beobachten. Bevor sie überhaupt eine Chance hatten, sich zu äußern (Zeitverschiebung), hatten Journalisten und Trump-kritische Experten ihnen schon die Entscheidung abgenommen, wie sie sich zu verhalten haben. „China wird darauf sicherlich verärgert reagieren“, „die Spannungen drohen zuzunehmen“, das wurde zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

In ihrem Eifer, auf Trump einzudreschen, machten die allermeisten Medien sich in vorauseilendem Gehorsam die Argumente Chinas zu eigen. Damit legitimierten sie die Machtansprüchen eines autoritären Regimes und diskreditierten zugleich die berechtigten Hoffnungen Taiwans auf würdigere Behandlung.

Es gibt einige, die auch so denken

Ich kürze das an dieser Stelle ab und verweise für alle, die Belege und Beispiele suchen, auf zusammenfassende Texte wie diesen von Taiwan-Blogger Michael Turton.

Zitat Taiwan

Unter dem von Journalist Wilfried Chan ins Leben gerufenen Hashtag #TaiwanFreakout finden sich viele Tweets zu der Problematik.

Und schließlich fasst Ketagalan Media es auch schön zusammen:

Zitat Taiwan

Negativbeispiel tagesschau.de

Alle deutschen Medienberichte en detail durchzuarbeiten, habe ich mir erspart (es ist Wochenende!). Recht schnell bin ich aber auf diesen Bericht bei tagesschau.de gestoßen, der einige nach journalistischen Standards besonders fragwürdige Formulierungen beispielhaft versammelt.

Um nicht ganz zu verzweifeln, habe ich die Screenshots mit Stickern verziert.

tagesschau.de Taiwan

Ein Beitrag, der keine Autorenzeile trägt, kann sich solche Auslegungen und Bewertungen („so tat, als sei…“) nicht leisten. Ist dieser Anruf vielleicht tatsächlich „keine große Sache“ gewesen? Die Deutungshoheit darüber liegt sicherlich nicht bei einem namentlich nicht gekennzeichneten Nachrichtenstück auf tagesschau.de.

tagesschau.de Taiwan

Taiwan „sieht“ sich nicht als „eigenständig funktionierende Demokratie“, es ist eine. An dieser Stelle hätte der ungenannte Autor nun wirklich keine Berührungsängste vor der Realität haben müssen.

(Nachtrag: Dies beruht auf einer dpa-Agenturmeldung, die so auch von anderen Medien übernommen wurde. Einfach mal googeln.)

tagesschau.de Taiwan

Die „abtrünnige Provinz“ ist nun wirklich eine der ärgerlichsten, sich am hartnäckigsten haltenden Medienfloskeln über Taiwan. Peking benutzt diesen Begriff nicht, es ist offenbar eine Erfindung westlicher Medien, um die komplexen Verhältnisse plakativ auf einen Nenner zu bringen.

Jetzt lesen: Diese Taiwan-Floskeln will ich nicht mehr sehen

Dann aber, tagesschau.de, haltet Euch zumindest an die Sprachregelung „China betrachtet Taiwan als…“, und bezeichnet nicht selbst Taiwan als abtrünnige Provinz, als sei das ein Fakt. Oder war bei Euch die Anführungszeichen-Taste kaputt?

Positives aus der deutschen Medienlandschaft

Als Mut machendes Beispiel unter den deutschen Journalisten sei Maximilian Kalkhof genannt, freier Autor bei Spiegel Online und dem gedruckten Spiegel. Er hat selbst lange in Taiwan gelebt und kennt sich aus. Leider schrieb er das hier nur auf seinem privaten Facebook-Profil:

Einige deutschsprachige Journalisten, auf deren Taiwan-Kompetenz m.E. Verlass ist, sind übrigens (ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit):

Jetzt lesen: Wie Steinmeier und Merkel vor China gekuscht und Taiwan verraten haben

Meine Taiwan-Interviews für DW-TV

Selbst konnte ich gestern zwei Live-Schaltgespräche fürs Fernsehprogramm der Deutschen Welle beisteuern, eines auf Deutsch, eines auf Englisch.

Hoffentlich ist es mir gelungen, dort zumindest ansatzweise deutlich zu machen, dass Medienrealität und Taiwan-Realität zumindest an diesem Tag weit auseinander lagen.

Liebe Leser, ich bin selbst Teil dieses Mediensystems. Was ist bei uns schief gelaufen? Wie können wir von dieser Sensationsgeilheit wieder wegkommen?

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

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