Macht Lernen kurzsichtig?
Möchten Sie noch mal neu anfangen und groß rauskommen? Hier ist mein Karriere-Tipp: Werden Sie Optiker in Taiwan. Das muss ein lohnendes Geschäft sein.
An fast jeder Straßenecke sehe ich hier Brillengeschäfte. Und manchmal kommt es mir so vor, als würden fast alle Taiwaner eine Sehhilfe auf der Nase tragen.
Ein Blick in die Statistik zeigt, dass ich mit meinem Bauchgefühl wohl nicht ganz falsch liege: Jeder fünfte Erstklässler, jeder zweite Sechtklässler und sogar vier von fünf Studenten brauchen eine Brille, teilte Taipehs Gesundheitbehörde vor ein paar Jahren mit. Und die Zahlen stiegen seitdem wohl noch an.
Konkret heißt das Problem Kurzsichtigkeit. In Deutschland betrifft es wohl nicht einmal halb so viele. Wie kommt es, dass dieses Leiden (auch: Myopie, engl. Myopia) wie eine Epidemie über Taiwans Gesellschaft schwappt? Es liegt nicht am Trinkwasser, auch nicht an den Genen oder an zu klein gedruckten chinesischen Schriftzeichen. Forscher haben zwei Hauptgründe ausgemacht.
Auf den Abstand kommt es an
Der erste: Zu langes und häufiges Starren auf Objekte in zu kurzer Entfernung. Das betrifft also Computerbildschirme, Handys, aber auch Lehrbücher und Testbögen.
Ein durchschnittlicher Schüler in Taiwan sitzt von früh morgens bis in den späten Nachmittag im Klassenzimmer, muss danach ein paar Stunden in die Nachhilfeschule und brütet dann vielleicht noch bis in die Nacht an den Hausaufgaben. Zwischendurch entspannt er sich beim Daddeln und Chatten per Handy, oder er zockt Videospiele am PC.
Es klingt unheimlich, doch muss das Auge sich ständig auf nahe Objekte fokussieren, wächst der Augapfel in die Länge. Was weiter entfernt ist, erscheint dann unscharf. Bildung macht kurzsichtig, könnte man sagen. Auch in anderen asiatischen Ländern, wo die Eltern ihre Kinder zum ständigen Lernen antreiben, gibt es dieses Problem.
Sonnenlicht beugt Kurzsichtigkeit vor
Außer den Blick immer wieder in die Ferne schweifen zu lassen würde auch Sonnenlicht helfen, doch hier liegt Taiwans zweites Problem: Schüler, Studenten und Büroarbeiter kommen kaum ans Tageslicht. Viele Freizeitaktivitäten finden drinnen statt, Sonnenbräune gilt als unschön, und dank unserer Nähe zum Äquator fängt es jeden Tag schon gegen 17, spätestens 18 Uhr an zu dämmern. Dabei scheint es schon zu helfen, wenn Schüler regelmäßig auf den Pausenhof gescheucht werden.
Kein Wunder also, dass Optiker in Taiwan viel Kundschaft haben. Und selbst, wer noch gute Augen hat, wird vielleicht zum Kunden: Weil Brillen so allgegenwärtig sind, gehören sie für viele Teenager offenbar schon zum Schönheitsideal dazu. Auch wer es nicht nötig hat, möchte sein Gesicht damit vielleicht interessanter wirken lassen.
Zufällig herausgegriffene Passanten aus meiner Straßenumfrage für dieses Video.
Zumindest aus meiner Sicht besonders ulkige Blüten treibt das, wenn jemand sich sogar das Fensterglas spart und einfach ein leeres Brillengestell auf die Nase setzt. Ungelogen – ich habe das hier in Schulen, auf der Straße und in der U-Bahn schon oft gesehen.
Ob Optiker auch daran noch etwas verdienen?
2 Antworten
Abgesehen von den Brille muss ich auch feststellen, dass Taiwanesen meist auch hitzeempfindlicher sind als wir Deutschen. Durch das ständige Aufhalten in klimatisierten Räumen (Wohnung, Tiefgarage, Auto, Büro, Shops, Einkaufszentren, usw.) ist man die Hitze im Freien weniger gewohnt als bei uns. Da wir viele Besucher aus Taiwan bei uns in D. haben, stellen wir das immer wieder fest. Gerade jetzt bei unserer bestehenden Hitzewelle.
Das mit den Brillengestellen ohne Gläser geht sogar soweit, dass man das bei Studenten sieht, die Kontaktlinsen tragen. Also Kontaktlinsen und Brillengestell!!