Deutschland, Deine Vorschriften
Am Leben in Taiwan faszinieren mich besonders die kleinen und großen Unterschiede im Alltag und im Verhalten der Menschen. Würde ich ständig nur an einem Ort leben, hätte ich ja keine Vergleichsmöglichkeiten.

Ich denke etwa an ein italienisches Restaurant am Rande von Berlin, Stammlokal eines Freundes, bei einem meiner letzten Deutschlandbesuche. Als wir mittags einkehren wollen, sind die Wirtsleute auf 180: Der Kontrolleur vom Gesundheitsamt ist da. Das ist an sich ja nicht schlecht. Und er hat auch nichts zu bemängeln. Gar nichts? Doch! Den Liste mit den Putz-Verantwortlichen sucht er vergebens. „Sauber mache ich zwar immer selbst“, erzählt uns die Wirtin, „aber trotzdem muss ich so einen Plan schreiben.“
Bis zu acht Listen müsse sie täglich weiterführen, mehrmals am Tag die Temperatur in jedem Kühl- und Gefrierschrank messen und festhalten. Dass sie bei so vielen Protokollpflichten überhaupt noch dazu kommt, Pizza zu backen, erstaunt mich.
Alles ist geregelt
In Deutschland ist halt so ziemlich alles geregelt. Vorschriften, Verordnungen, Gesetze… wer nicht den Überblick behält, hat schnell Probleme. Jede Regelung für sich war wohl mal gut gemeint, zusammengenommen ersticken sie viel Wagemut.
Nach meinen ersten 30 Jahren, die ich fast nur in Deutschland verbracht hatte, fand ich das ganz normal. Durch das Leben im Ausland ist mir klar geworden: Es geht auch anders.

Und das heißt bestimmt nicht, dass ich einer neoliberalen Ideologie verfallen wäre! Vernünftiges Zusammenleben braucht Regeln und Grenzen. Nur eben keine, die viel Selbstzweck, aber keine Relevanz haben.
Taiwan etwa ist beim besten Willen kein rückständiges Land, wo das Recht des Stärkeren die Dinge regelt. Aber tendenziell sind die Menschen es gewohnt, dass der Staat weniger detailversessen und konsequent jedes mögliche Problem schon im Vorfeld zu verhindern sucht.
Und das Leben funktioniert trotzdem, denn nicht alle denkbaren Probleme treten auch ein.
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Wo deutsche Kontrolleure vom Glauben abfallen würden
Wer das Lebensgefühl in Taiwan lahmlegen wollte, bräuchte nur die deutschen Gastronomie-Vorschriften einzuführen. Schlagartig müssten die meisten Garküchen, Straßenstände und einfachen Restaurants schließen.
Vielleicht, weil die Essstäbchen nicht TÜV-geprüft sind, die Toilette zwei Zentimeter zu schmal ist, oder der Gasherd zu heiß.
Dass dieses Restaurant seit mehr als 40 Jahren an Ort und Stelle Generationen von Gästen zufrieden gestellt hat, wäre komplett egal.
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Wenn Taiwaner arbeitslos werden oder mit seinem Job nicht mehr glücklich sind, finden manche sich schnell als Ein-Personen-Restaurants wieder. Ein Küchenwagen mit Edelstahlfläche ist leicht zu haben, per Hand kann mal ihn zur nächsten Straßenecke schleppen, und das Geschäft beginnt. Einzige Bedingung: Es schmeckt und ist nicht zu teuer.
Ich bewundere diese Art von Kleinunternehmergeist, und ich genieße es, davon zu profitieren.
Probleme nicht wegreden
Na klar, Sicherheits- und Hygieneprobleme darf man nicht unterschätzen. Auch, wenn ich mir noch nie den Magen verdorben habe, müssen natürlich auch Taiwans Küchen ab und zu kontrolliert werden. Lebensmittelskandale gibt es immer wieder, weil große Hersteller damit rechnen können, mit dreisten Panschereien durchzukommen. Und immer neue vermeidbare Unglücksfälle zeigen, was passieren kann, wenn niemand sich niemand zuständig fühlt, Regeln auch mal durchzusetzen.
Aber oft finden diese Versäumnisse ganz oben statt, am Anfang einer Kette und im großen Stil – nicht im Alltagsleben.
Einige Risiken muss man als Gesellschaft in Kauf nehmen, nicht alles lässt sich verhindern. In Deutschland haben wir uns ja auch dafür entschieden, dass es in Ordnung ist, wenn jeder 18- oder 80-Jährige mit 250 km/h über die Autobahn schießen darf. Dass es dabei nie zu Unfällen kommt, wäre mir neu.
Das Optimale, glaube ich, liegt in diesem Fall wirklich in der Mitte. Taiwan kann sich in Deutschland mehr Konsequenz und Vorausplanung abschauen. Und wir könnten von Taiwan (und vielen anderen Orten) lernen, dass es befreiend sein kann, auch mal auf eine Vorschrift zu verzichten.
Finde ich jedenfalls. Und was denken Sie?
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Eine Antwort
Leider gibt es in Deutschland viel zu viele Vorschriften.Ganz zu schweigen von den ganzen schiltern.