Taiwan hat gewählt, Präsidentin und Parlament. Dass die internationale Aufmerksamkeit 2020 hoch war, lag an China. Wie haben deutschsprachige Medien berichtet?
Es war mein vierter Präsidentschaftswahlkampf in Taiwan – und wohl der spannendste. Obwohl die letzten Umfragen eindeutig schienen, hing große Unsicherheit in der Luft: Könnte der KMT-Kandidat Han Kuo-yu einen unerwarteten Überraschungserfolg landen, seine Anhänger in letzter Minute geschlossen mobilisieren? Dass sie auf einen „Trump-Effekt“ hofften, räumten Hans eigene Wahlkampfmanager offen ein.
Am Ende kam es anders, die Umfragen stellten sich als verlässlich heraus und Taiwans Wähler machten ihre Prioritäten klar. Sie bestätigten Tsai Ing-wen mit 57 Prozent und einem Rekordergebnis von mehr als acht Millionen Stimmen (das gab es seit 1996 noch nie) im Amt. Und Tsais DPP behält auch ihre Mehrheit im Parlament – wenn sie auch nicht mehr ganz so groß ausfällt wie bisher.
Großes Interesse an Berichten zur Wahl
Wie berichteten nun die deutschsprachigen Medien über die Wahl? Die kurze Antwort: Nach meinen Eindrücken etwa so interessiert wie 2016, also deutlich stärker als in den Jahren 2008 und 2012.
2016 lag der Machtwechsel in der Luft, 2020 bestimmte der China- und Hongkong-Faktor die Berichterstattung (Ärger! Konfliktpotenzial!). Das wurde den Verhältnissen zwar nicht ganz gerecht (auch in Taiwan werden Wahlen vor allem durch innen- und wirtschaftspolitische Erwägungen und die Frage „Was ist am besten für meine Familie?“ entschieden), ist aber von außen betrachtet sicher eine relevante Perspektive.
Dass Hongkong dieses Jahr so starke mediale Berücksichtigung fand, lag ja an der Gewalt und den Bildern davon. Auf der anderen Seite wird Taiwan in den europäischen klassischen Medien eine Randnotiz bleiben, wenn es nicht gerade kracht (was niemand will) oder gewählt wird. Dazu eine Visualisierung:
Meine Arbeit rund um die Wahl
Ich selbst hatte einige Tage vor der Wahl die Parteizentralen von DPP und KMT in Taipeh besucht und darüber einen Bericht für die Deutsche Welle geschrieben, in dem ich meinen Eindruck schilderte, zwei völlig unterschiedliche Welten erlebt zu haben.
Unmittelbar vor der Wahl und am 11. Januar begleitete ich dann, wie schon 2016, ein Team des ARD-Ostasienstudios, das aus Tokio angereist war. Wir drehten für Tagesschau und Tagesthemen.
Top-Lesetipp: SZ
Bevor ich unsere und weitere Berichte verlinke, aber eine Bitte: Wenn Sie nur Zeit für einen einzigen deutschen Medienbericht zur Taiwan-Wahl haben, dann lesen Sie diesen Kommentar von Peking-Korrespondentin Lea Deuber in der Süddeutschen Zeitung.
Und danach drucken Sie ihn aus und drücken ihn jedem in die Hand, den Sie für Taiwan interessieren möchten. Es ist einer der stärksten und treffendsten Texte, die in den vergangenen Jahren in deutschsprachigen Medien erschienen sind.
Die KP behauptet, Demokratie sei ein westliches Konzept, das für den chinesischen Kulturkreis nicht gelte. Taiwans vielfältige Zivilgesellschaft widerlegt das mit einer Leichtigkeit, die Peking rasend macht. (…) Anstatt sich vom Gerede Pekings einlullen zu lassen, China biete ein nennenswertes Alternativmodell, sollte der Westen Taiwans progressivem Kurs viel Beachtung schenken.
Taiwan in den deutschen Hauptnachrichten
Ziemlich zufrieden bin ich auch mit unserem Bericht für die 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau am Wahl-Samstag (und das sage ich nicht nur, weil ich daran mitgearbeitet habe). Wie vor vier Jahren haben wir damit viele Millionen Menschen in Deutschland erreicht, die vorher nie oder nur wenig von Taiwan gehört hatten.
Dass mein persönlicher Hass-Begriff „abtrünnige Provinz“ nicht fällt, dafür hatte ich noch persönlich gesorgt.
Taiwans Vertretung in Berlin hat den Text auf Chinesisch übersetzt.
Außerdem drehten wir einen längeren Bericht für die Tagesthemen am selben Abend. Der fiel leider den aktuellen Entwicklungen im Iran (Abschuss eingeräumt) zum Opfer, so dass nur noch gut eine Minute übrig blieb. Wenigstens ist die Familie noch zu sehen, die wir zum Wahllokal und zur Auszählung der Stimmen begleitet hatten.
Und auf tagesschau24 war Korrespondent Uwe Schwering für ein Live-Gespräch zugeschaltet, das dann im Lauf des Tages mehrfach wiederholt wurde. Da war noch mehr Zeit für Einordnungen und Hintergründe.
Eine frühere Version des Gesprächs hatten wir noch unmittelbar vom DPP-Hauptquartier aus geführt, als die Stimmen gerade erst seit einer Stunde gezählt wurden. Die Zahlen entsprachen da quasi schon dem Endergebnis.
Bleiben wir noch beim Fernsehen: Auch das ZDF hatte ein Team geschickt, in diesem Fall aus Peking. Korrespondentin Stefanie Schoeneborn berichtete für das Heute-Journal und die Heute-Nachrichten um 19 Uhr.
Viel zum Nachlesen und Anhören
In deutschsprachigen Print- und Onlinemedien sowie Radiosendern (vor allem Deutschlandfunk) erschienen kurz vor und natürlich nach der Wahl so viele Berichte, dass es kaum möglich (oder sinnvoll) ist, sie alle aufzulisten. (Und damit meine ich explizit Autorenstücke und nicht nur Copy-Paste von Agenturmeldungen.)
In der Facebook-Gruppe „Deutsche in Taiwan“ gibt es einen Thread, in dem sehr viele dieser Links zusammengetragen sind. Das können Sie auch lesen, ohne bei Facebook angemeldet zu sein.
Einige für mich bemerkenswerte Berichte:
- Für die FAZ berichteten vor der Wahl drei Korrespondenten für verschiedene Ressorts: Politik (Friederike Böge, Peking), Wirtschaft (Patrick Welter, Tokio) und Feuilleton (Antonia Märzhäuser). Alle drei Berichte stehen hinter der Paywall, aber sie lohnen sich. Der Feuilleton-Text dreht sich speziell um die Sichtweise der jungen Generation.
- In der taz erschien ebenfalls eine lange Reportage über junge Taiwaner und ihre politischen Ansichten.
- Auch zum Anhören: Deutschlandfunk Kultur mit einem ausführlichen Vorbericht und anschließendem Kollegengespräch
- Die NZZ widmete sich explizit wirtschaftlichen Fragen
- Rockmusiker/Politiker Freddy Lim, über den ich 2015 den ersten deutschen TV-Beitrag gedreht hatte, war für Deutschlandfunk Kultur noch immer ein Thema
- Fake News, Infiltration, Desinformation: Tagesthemen über chinesische Einflussnahme in Taiwan (auch mit chinesischen Untertiteln)
- Und ähnliche, aber anders gestrickte Beiträge im ARD-Mittagsmagazin sowie in der NDR-Sendung Weltbilder (jeweils mit chinesischen Untertiteln)
- Einer der Spiegel-Korrespondenten des Büros in Peking war angereist. Da die Wahl aber am Samstag stattfand, dem Erscheinungstag des Heftes, wäre ein Bericht dort mit Erscheinen schon überholt gewesen. So gab es einen Online-Bericht über Exilanten aus Hongkong in Taiwan.
- Zum Anhören: hr info vor der Wahl mit einer zwanzigminütigen Sendung rund um Taiwan. Die ersten vier Minuten (historischer Rückblick) sind voll der üblichen Phrasen und Fehler, am besten direkt überspringen. Danach folgt eine Reihe von ganz informativen Gesprächen und ARD-Hörfunkbeiträgen, auch noch mal zur Anhörung im Petitionsausschuss vor einem Monat.
Ein interessantes Video hatte vor der Wahl die deutsche Redaktion von Radio Taiwan International gedreht: Eine kleine Straßenumfrage unter Wählern in Taipeh.
Welche Berichte fanden Sie besonders interessant?
5 Antworten
Lieber Klaus,
wir waren in Berlin auf der Wahlparty im taiwanischen Instituz der zukünfigen Botschaft Taiwans in Deutschland :-), und da waren sicherlich 300 – 400 Leute. Wir haben mit vielen gesprochen, die sehr interessiert an Taiwan und der demokratischen Entwicklung dort sind. Die Berichterstattung war viel ausführlcher als sonst, da hast Du Recht. ABER! Weder in der ZEIT, noch in den Ausgaben von F.A.S. noch im Spiegel nach der Wahl wurde die Wahl erwähnt. Kein einziges Wort. Ich hoffe, dass da noch etwas kommt. Fand das aber schon befremdlich. Herzliche Grüße, Michael
Hallo Michael, zumindest für den Spiegel kann ich das erklären. Der Korrespondent war hier vor Ort, aber das Problem war, dass das Heft in Deutschland am Samstag erschien, also genau am Wahltag – jeder (Vor-)Bericht wäre mit Erscheinen also schon veraltet gewesen. Und eine Woche später war das Thema ihnen offenbar schon nicht mehr aktuell genug.
Die Zeit-China-Korrespondentin war m.W. nicht vor Ort. Die von der FAZ ja, warum die FAS da nicht zugegriffen hat, kann ich nicht sagen.
Urblaue haben wohl diesmal oft DPP gewählt. Ich habe da ein Anschauungsobjekt 😉
DPP oder Tsai?
Während deutsche (und eigentlich alle westlichen) Medien durchwegs positiv über Tsai Ing-Wens Wahlsieg und der Bedeutung für die Demokratien der Welt (Stichwort: fake news Kampagne Chinas, Populismus) berichteten, vollzogen weite Teile der österreichischen Medienlandschaft einen Kotau in vorauseilendem Gehorsam.
Der ORF hat die Meinung der chinesischen Staatsmedien ungefiltert wiedergegeben, wonach die Wahl Tsais die schmutzigste Wahl gewesen wäre. Man hat nicht einmal erwähnt, daß über 100 ausländische Wahlbeobachter etwas anderes gesehen haben.
https://orf.at/stories/3150675/
Der Standard bezeichnet Taiwan ganz nach Pekings Vorgabe als „abtrünnige Provinz“.
https://www.derstandard.at/story/2000113213591/tsai-ing-wen-die-etappensiegerin-auf-chinas-abtruenniger-insel
Ich schäme mich heute, Österreicher zu sein.