In „ChinaLeaks: Pekings geheimes Netzwerk in Deutschland“ zeichnet der Investigativjournalist Markus Frenzel ein beunruhigendes Bild. Er zeigt, an wie vielen Fronten auch in Deutschland die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Einfluss gewinnen will. Und wie wenig Konsequenzen Behörden, Regierung und gesellschaftliche Akteure bislang daraus gezogen haben.
Einheitsfront. Vorfeldorganisationen. Unterwanderung.
Das sind keine angestaubten Begriffe aus dem kalten Krieg. Sie beschreiben Strategien, mit denen die KPCh „die Welt nach den eigenen Vorstellungen im großen Stil umgestalten“ (S. 338) und ihren Machtbereich ausweiten will – gerne unterhalb der öffentlichen Wahrnehmung, überall und mit fast allen Mitteln, auch Spionage, Manipulation und Einschüchterung.
„Generell ist die Haltung gegenüber den immer selbstbewusster auftretenden Kommunisten eine Mischung aus Ängstlichkeit und Naivität. Diese Haltung ist schon einmal gegenüber Russland gehörig schief gegangen“, schreibt Frenzel (S. 90). Andere Länder machen sich längst weniger Illusionen.
Es geht auch um Narrative, Deutungshoheit und die Schere im Kopf. „Die Volksrepublik versucht zu steuern, wie wir über China denken und sprechen“, zitiert Frenzel einen Politikwissenschaftler.
Das gilt natürlich auch für Taiwan.
Zweifel an Taiwans Existenzrecht streuen, Unterstützung verhindern oder diskreditieren – das gehört selbstverständlich zu den Zielen von Pekings Einflussoperationen, auch in Deutschland.

„Wie ein Wolf im Schaftspelz schleichen sich die chinesischen Tarnorganisationen in die Mitte der westlichen Gesellschaften, um dann über die Herde herzufallen“ (S. 62). Frenzel wählt gern drastische Worte, aber er kann belegen, dass Aufrütteln Not tut. Spätestens seit Xi Jinpings Machtübernahme sind zu viele Warnungen, Geheimdienstberichte und Hinweise auf eindeutige Drohaktionen verstrichen, ohne dass sie für sich genommen oder kumuliert eine angemessene Breitenwirkung hatten.
Womit wir es zu tun haben
Auf den ersten knapp 90 Seiten erläutert Frenzel die Grundzüge von Chinas Machtstreben und der Rolle der Einheitsfront – neben dem Militär und den Geheimdiensten einem der wichtigsten KPCh-Werkzeuge. Ziel ist die „politische und gesellschaftliche Gleichschaltung… alle Lebensbereiche der Menschen sollen unter die Kontrolle des Regimes kommen… Dieses Raster wird seit der Machtübernahme Xi Jinpings immer stärker auf das Ausland übertragen“ (S. 92).
Diesem Zweck dienen auch in Deutschland zum Beispiel die Konfuzius-Institute sowie getarnte, inoffizielle Polizeistationen. Dass es wegen diesen nach ihrer Aufdeckung keinen viel größeren Aufschrei gab, liegt wohl auch daran, dass sie statt der deutschen Mehrheitsgesellschaft vor allem Chinesen und chinesischstämmige Menschen kontrollieren. „Tatsächlich hat die Volksrepublik China in Deutschland ein engmaschiges Netz der Überwachung aufgebaut, das von lokalen China-Vereinen bis in die Berliner Botschaft reicht.“ (S. 80)
Kontroverse Namensliste
„Die geleakte Liste“ heißt der Mittelteil des Buches. Die etwa 80 Seiten stellen den Kern von Frenzels Recherchen dar. Chinas Regime habe „ein geheimes Netz von Unterstützern und Kontaktpersonen in der ganzen Welt aufgebaut, das im Verborgenen die Unterwanderungsstrategie der KPCh vorantriebt“ (S. 20).
Allein aus Deutschland stehen auf dieser offenbar aus dem Pekinger Behördenapparat geleakten Namensliste mehr als 40 Personen, darunter viele chinesischstämmige Geschäftsleute und Gastronomen, die Frenzel der Reihe nach abarbeitet, ihnen hinterherrecherchiert und sie kontaktiert. Wieso werden sie offenbar als Kontaktpersonen geführt?
Viele wollten nichts sagen, andere bestreiten jede Verbindung zur Einheitsfront. In manchen Fällen klingt das Dementi nachvollziehbar, in anderen weniger. Frenzel und seine Mitarbeiter haben das Netz gründlich nach Spuren durchsucht und viele Beispiele dafür gefunden, dass genannte Personen aus Deutschland in China auffällig gut vernetzt sind und z.B. viele Treffen mit hochrangigen Parteikadern hatten.

Dennoch bleibt es bei (sehr vielen) Indizien, es findet sich (zumindest in meiner Erinnerung nach einmaligem Lesen) keine „Smoking Gun“, die eine Beteiligung an unzulässigen Aktivitäten eindeutig belegt. Dieser Teil ist es denn auch, an dem sich ein Großteil der Kritik aufhängt (schauen Sie sich mal die sehr polarisierten Leserkommentare auf Amazon an).
Ross und Reiter genannt
Wichtiger und eindrucksvoller finde ich den dritten Teil des Buches, obwohl er größtenteils nicht mehr eigene Recherchen nachzeichnet. Hier nimmt sich Frenzel auf 130 Seiten der Reihe nach gesellschaftliche Bereiche vor und belegt, wie weit Einfluss- und Unterwanderungskampagnen der KPCh hier, unterstützt durch willige Helfer oder schlicht durch Naivität und Kurzsichtigkeit, schon gekommen sind: Politik (SPD, CSU, Lokalpolitik, Linke und BSW, AfD), Universitäten, Unternehmen („Die großen Schwergewichte der deutschen Wirtschaft werden ganz gezielt gegen den die Politik in ihrem Heimatland in Stellung gebracht“, S. 297), Kulturbetrieb und Influencer, Medien („Großerklärer“, S. 320).
Dabei nennt er Ross und Reiter – und einige Namen, die man als Leser vorher nicht unbedingt auf dem Schirm hatte, wird man künftig nur noch mit Vorbehalten betrachten können.
„Das große Bild der Unterwanderung detailliert nachzeichnen“ (S. 343) nennt Frenzel als Ziel seines Buches, und das ist ihm gelungen. Zum einen bietet er neue Informationen, die er von seinen zahlreichen Gesprächspartnern erfahren hat – etwa, dass Bundeswehrangehörige schon beim Vorbeifahren am chinesischen Konsulat in Hamburg wegen Ausspäh-Gefahr ihre Handys abschalten („Es reicht offenbar, wenn die Bluetooth- oder NFC-Funktion eingeschaltet ist“, S. 339).
Oder die Geschichte von „Lutz Heppner“, mit der das Buch beginnt und endet. Der Akademiker war zunächst Ziel chinesischer Anwerbeversuche, dann Opfer einer technisch ausgeklügelten Rufmordkampagne, die erst nach Eingreifen des Auswärtigen Amtes auf höchster Ebene endete. Heute will er Entscheidungsträger dazu bringen „die Einflussoperationen der KPCh und ihrer Unterstützer in Deutschland ernst zu nehmen und auf die Unterwanderung der deutschen Gesellschaft endlich zu reagieren“ (S. 342).
Zum anderen ist dieses Buch mit seinem Quellenapparat auch als Fakten- und Materialsammlung wertvoll (sinvoll wäre noch ein Namensregister gewesen), weil es vieles bündelt und in einen größeren Kontext stellt, das man in den vergangenen Jahren vielleicht verpasst hat.
Das Buch bekommen Sie überall, zum Beispiel hier bei Amazon. (Affiliate-Link: Ein paar Cent landen bei mir, Ihr Preis bleibt gleich.)
Streit im Video
Autor Markus Frenzel hat Ende Januar 2025 an einer kontroversen Diskussionsveranstaltung in Berlin teilgenommen. Sie wurde mitveranstaltet von der china-brücke e.V., die er in dem Buch als China-Lobby kritisiert und für die Wolfgang Hirn auf der Bühne saß. Moderiert hat Finn Mayer-Kuckuk.
Es sollte um die deutsche Berichterstattung über China gehen, drehte sich tatsächlich aber vor allem um das Buch.
Es gibt einen Videomitschnitt, den man sich trotz der suboptimalen Tonqualität ansehen (und vor allem mit einem guten Kopfhörer anhören) sollte.
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