Taiwans Wirtschaftskapitäne wollen nicht von Bord gehen
Sie hießen Rockefeller oder Ford, Krupp oder Siemens. Legendäre Industrielle, die riesige Unternehmen aufgebaut und ebenso riesige Reichtümer angehäuft haben. In Taiwan gibt es seit dem Wirtschaftsboom eine ganze Reihe solcher Gründerfiguren. Nun läuft ihre Zeit ab. Das sehen nicht alle ein.
Viele, die Taiwan einst zum Tigerstaat gemacht haben, zögern lange, ihr Lebenswerk aus der Hand zu geben. Zu lange? Dies ist eine von vielen faszinierenden Geschichten. Es geht um Y.C. Wang und Formosa Plastics, aber auch um Taiwan als ganzes.
Vor einigen Jahren machte ich mit anderen Journalisten eine Informationstour an Taiwans Westküste. Es ging um Pläne für neue Fabriken an der Küste, die große Teile fast unberührten Wattenmeers zerstört hätten. Nach Protesten von Umweltschützern und Anwohnern überlegte die Regierung es sich schließlich anders.
Bei diesem Ausflug fuhren wir auch vor die Tore einer gigantischen Fabrikanlage ganz in der Nähe, die schon in Betrieb war. Errichtet auf 2000 Hektar Fläche (ja, 20 Quadratkilometer), die im Meer aufgeschüttet wurde, steht der „Naphtha Cracker Nr 6“ von Formosa Plastics in Mailiao, Yunlin County. Eine petrochemische Anlage zur Kunststoffproduktion, samt Raffinerie und eigenem Kohlekraftwerk, in der etwa 10.000 Menschen arbeiten. Schmutzig, aber irgendwo muss unser Plastik ja herkommen, solange wir es in solchen Massen verbrauchen.
Nun habe ich mich neulich näher mit diesem Unternehmen und seinem Gründer beschäftigt, und die Geschichte ist sehr interessant.
Y.C. Wang: Ein Milliardär tritt ab
Als habe ein General bis zum letzten Atemzug bei seinen Truppen ausgehalten, so sei Y.C. Wang als Oberbefehlshaber seines Konzerns aus der Welt geschieden, hieß es nach seinem Tod 2008. Der Gründer des Kunststoff- und Petrochemie-Giganten Formosa Plastics soll zuletzt fast 7 Milliarden US-Dollar schwer gewesen sein. Er wurde 91 Jahre alt. In Taiwan galt sein Reichtum als sprichwörtlich, vergleichbar mit Krösus oder Dagobert Duck.
Die Geschichte des schmächtigen Mannes mit dem schmalen Mund ist ein Paradebeispiel für Taiwans Aufstieg zum Wirtschaftswunderland und die Schwierigkeiten, die Errungenschaften für die nächsten Generationen zu erhalten. Seit Jahrzehnten bilden zahllose Mittelständler das Rückgrat von Taiwans Wirtschaft. Es gibt keine Riesenkonglomerate wie in Südkorea, deren Schicksal die ganze Volkswirtschaft ins Wanken bringen kann.
Manche dieser Familienunternehmen wurden sehr groß, so wie Formosa Plastics. Die Unternehmensgruppe hatte 2015 110.000 Mitarbeiter und machte 60 Mrd. Dollar Umsatz.
Aufstieg aus einfachen Verhältnissen
Vom Bauernjungen zum Milliardär führte der Weg von Y.C Wang, der nie eine weiterführende Schule besucht hatte, mit Anfang 20 eine Reishandlung eröffnete und dann 1954, mit seinen Brüdern und dank amerikanischer Aufbauhilfe, eine Kunststofffabrik.
Dabei waren auch Wangs Verbindungen zur damals herrschenden Klasse hilfreich, schilderte sein Sohn Walter später:
Walter says Y.C. went into plastics because of his second-rank connections with the Chiang Kai-shek government, when friends and relatives took over the island’s most lucrative businesses after the war. “There was one very strange category left, and that was called plastics,” Wang says, laughing. “They knew my father had a lot of cash from the lumber business, so they pushed him to take it.”
Y.C. Wang quickly realized he wouldn’t sell much plastic resin in Taiwan without manufacturers to buy it. So he recruited friends to start downstream businesses making plastic toys and other inexpensive export products that introduced a generation of Americans to the phrase “Made In Taiwan.”
Dass „Made in Taiwan“ im Westen lange Zeit stellvertretend für Spielzeug und anderen billigen Plastikkram stand, lag also auch an Y.C. Wang.
Chinesische Geschäftstugenden
Disziplin, harte Arbeit und Sparsamkeit bestimmen das Arbeitsethos, mit dem Gründer aus dem chinesischen Kulturkreis es nach dem zweiten Weltkrieg überall zu Reichtum brachten – vor allem, aber nicht nur, in Singapur, Hongkong und Taiwan (spannender Bericht von 1993). Eine große Ausnahme war systembedingt die Volksrepublik.
Das Plastikschälchen mit Kondensmilch soll Y.C. Wang stets noch in den Kaffee getunkt haben, um ja keinen Tropfen zu verschwenden. Da war er schon längst Multimilliardär, und seine Formosa Plastics-Unternehmensgruppe eines der größten petrochemischen und kunststoffproduzierenden Unternehmen der Welt.
Link: Langer Nachruf im taiwanischen Commonwealth Magazine
Heute jedoch leidet Taiwan an der Kluft zwischen Tradition und Innovation. Die Wirtschaftswunderjahre sind vorbei. Viele der verehrten Gründer, nun im Greisenalter, haben Probleme damit, ihr Lebenswerk der nächsten Generation anzuvertrauen.
Y.C. Wang war 91, als er 2008 starb. Noch am Vortag hatte er eine Fabrik inspiziert, und obwohl er zwei Jahre zuvor seinen Rückzug eingeleitet hatte, saß er noch in vielen Vorständen. Ihn offen in Frage zu stellen, hätte ohnehin niemand gewagt.
Loslassen ist schwierig
Wie die Kaiser im alten China, so sitzen Taiwans Unternehmensgründer fast unumstößlich auf dem Thron. Ein Problem dieser „imperialen“ Unternehmenskultur: Kritik an Vorgesetzten findet nicht statt, Kurswechsel sind schwierig.
Obwohl China Taiwan längst den Rang als Billigwerkbank der Welt abgelaufen hat, halten viele Unternehmen fest am Erfolgsrezept der Vergangenheit: als Auftragsfertiger für Unternehmen aus dem Westen die Kosten drücken, sich über Preis und Masse definieren statt über Exzellenz.
Nur wenige Unternehmen haben sich von Taiwan aus als globale Marken etabliert, etwa Asus und Acer im IT-Sektor oder Giant mit seinen Fahrrädern.
Bei Formosa Plastics hatte Y.C. Wang noch 2006 die Weichen für seine Nachfolge gestellt. Ein Kollektiv verdienter Manager erkor als Nachfolger, statt die Macht komplett in die Hände der eigenen Kinder zu legen. Dabei hätten sich dort genügend ambitionierte Kandidaten gefunden: Drei Frauen hatte Wang im Lauf der Zeit, blieb offiziell aber immer mit der ersten verheiratet, und mindestens neun Kinder. Auch diese Familienverhältnisse erinnern an chinesische Kaiserhöfe.
Link: Bildergalerie der wichtigsten Familienmitglieder
Obwohl in Taiwan „Du hältst Dich wohl für den Sohn von Y.C. Wang?“ ein auf Angeber gemünztes Sprichwort war, hielt der echte Wang seine Nachkommen zu Lebzeiten an der kurzen Leine, ließ sie mit klapprigen Autos fahren und ihre eigenen Unternehmen gründen.
Seinen ältesten Sohn verdonnerte der Patriarch vor 20 Jahren nach einer außerehelichen Affäre zum Exil in den USA. Dort lernte Winston Wong dann Jiang Mianheng kennen, den Sohn des damaligen chinesischen Staatschefs Jiang Zemin. Mit ihm gründete er in Shanghai den Halbleiterhersteller Grace Semiconductor Manufacturing.
Wangs Tochter gründet HTC
Den größten unternehmerischen Erfolg hatte wohl Wangs Tochter Cher, die den Handyhersteller HTC gründete und 2008 das erste Android-Gerät auf den Markt brachte. Um das Jahr 2010 war HTC eine der größten Smartphone-Schmieden weltweit und spielte auf Augenhöhe mit Samsung. Cher Wang und ihr Mann galten mit einem Vermögen von fast 9 Milliarden Dollar als reichste Menschen Taiwans.
Doch dann führte eine verfehlte Modell- und Preispolitik zum Niedergang, und HTC verlor mehr als 90 Prozent seines Börsenwerts.
Streit ums Erbe
Zu dieser Zeit stritten die verschiedenen Zweige der Familie längst um die Formosa-Plastic-Milliarden. Y.C. Wang hatte viel Geld und viele Nachkommen, aber kein Testament hinterlassen – auch in Taiwan ein sicheres Rezept für langen Rechtsstreit.
Erst im Oktober 2016 weigerte sich ein Gericht in New Jersey, wo Wang einen Wohnsitz hatte und auch verstarb, sich weiter mit der familiären Schlammschlacht zu befassen, und verwies den Fall nach Taiwan (PDF).
Greise Industriekapitäne in anderen Unternehmen
Dort spielen sich in einer anderen Familiendynastie gerade ähnliche Nachfolgekämpfe ab: Es geht um die Evergreen-Gruppe, zu der neben Fluglinien und Hotels vor allem eine der fünf größten Containerreedereien der Welt gehört. Gründer Chang Yung-fa war Anfang 2016 mit 88 Jahren gestorben, ebenfalls an der Spitze des Konzerns, und hatte seinen jüngsten Sohn als Nachfolger bestimmt. Dessen Halbbrüder nutzten umgehend ihre Anteilsmehrheit, um ihn abzusägen.
Als nächstes wird unter anderem bei TSMC ein Generationswechsel ins Haus stehen. An der Spitze des größten Halbleiterherstellers nach Intel und Samsung steht wie schon zur Gründung 1987 Morris Chang. Der ist nun auch schon 85 und hat 2009, vier Jahre nachdem er sich eigentlich schon zurückgezogen hatte, den Chefposten wieder übernommen.
Dass es auch anders geht, zeigt der Fall Shi Wel-long. Der Gründer des Elektronik- und Chemiekonzerns Chimei legte 2004 im zarten Alter von 76 den Vorsitz nieder. Er konzentriert sich seitdem auf philantropische Aktivitäten und schenkte seiner Heimatstadt Tainan z.B. das beeindruckende Chimei-Museum, in dem seine private Kunstsammlung ausgestellt ist.
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