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Kampf um Taiwans Wattenmeer

Ochsenkarren im Wattenmeer vor Taiwan


Dieser Beitrag zu meiner Taiwan-Kolumne in der heimatlichen Lokalzeitung ist mittlerweile von der politischen Realität überholt worden.

Nachdem Anwohner, Wissenschaftler und Studenten jahrelang gegen das Kuokuang-Raffinierieprojekt (chin. Infos bei Wikipedia) mobil gemacht  und immer mehr Bürger aus ihre Seite gezogen haben, hat Taiwans Präsident Ma Ying-jeou kürzlich entschieden: Es wird nicht gebaut. Zumindest nicht im Wattenmeer vor der Küste von Changhua County. Eine Tage zuvor war Ma von wütenden Anwohnern ausgebuht worden. Und der Präsidentschafts-Wahlkampf hat begonnen.

Die Betreiberfirma Kuokuang ist ca. zur Hälfte in Staatsbesitz. Noch offen ist, ob die Regierung sich auf die Suche nach einem neuen Standort in Taiwan machen wird, oder ob das Projekt ins Ausland verlagert wird. Malaysia und Indonesien sind im Gespräch. Umweltschützer fordern, den Plan gänzlich fallen zu lassen.

Kennen Sie die niedersächsische Nordseeküste? Schön, das Wattenmeer, oder? Nun stellen Sie sich vor, eine staatseigene Firma würde zwischen Cuxhaven und Neuwerk auf einer künstlichen Insel eine mehrere Quadratkilometer große Chemiefabrik errichten. Mit ständig qualmenden Schloten und einem Frischwasserverbrauch, der die Weser trockenlegen könnte. Das würden Sie nicht gut finden? Dann verstehen Sie auch, warum in einem der letzten naturbelassenen Küstenstreifen Taiwans die Anwohner gerade gegen genau solche Pläne auf die Barrikaden gehen.

Die Fahrt durch Taiwans Westen ist immer wieder ernüchternd. So majestätisch und unberührt das Hochgebirge im Osten der Insel, so zersiedelt und verschandelt ist hier die Küstenebene. Autobahnen ziehen sich auf Betonstelzen durch endlose Gewerbegebiete, zwischen Reis- und Gemüsefeldern stehen unvermittelt hässliche Wohnblöcke, und wo ich auch hinblicke, sind Straßen und Gebäude. Natur, so weit das Auge reicht, gibt es vielleicht in Niedersachsen, aber nicht hier. Klar, irgendwo müssen die 23 Millionen Taiwaner wohnen. Aber ihr jahrzehntelanger Wirtschaftsboom ging eindeutig zu Lasten von Natur, Lebensqualität und Gesundheit – denn es ist kein Nebel, der die Luft so dunstig macht. Es sind Abgase aus den nahen Chemiefabriken.

Ochsenkarren im Wattenmeer vor Taiwan

Über den mit struppigem Gebüsch bewachsenen Deich führt ein Weg direkt ins Wattenmeer, das sich endlos gen Westen erstreckt. Irgendwo da hinten liegt China. Wir sitzen auf einem Ochsenkarren, der mit seinen dicken Gummireifen im Schlick gut vorankommt. Bauern aus dem Dorf führen uns zu ihren Feldern: Holzpfähle haben sie ins Watt gerammt, dazwischen Leinen gespannt, an denen Austern hängen wie dunkelgraue Perlen auf einer Kette. Von solchen Plantagen leben hier 3000 Familien, erzählt einer, seit vielen Generationen. Reich werden sie damit nicht, aber sie haben ein Auskommen, denn Meeresfrüchte haben Taiwaner gern auf dem Tisch. Auf das Versprechen der Regierung, Arbeitsplätze in die Region zu bringen, können sie daher gut verzichten. Denn genau hier soll eine neue Plastikfabrik entstehen. Noch größer als die, deren Schornsteine man im Süden am Horizont durch den Dunst gerade noch erahnen kann.

„In Taipeh wollen sie über unsere Heimat bestimmen“, erzählt uns Frau Hsu, eine energische Anwohnerin Anfang 40. „Aber wer nicht hier lebt, sollte auch nicht entscheiden dürfen.“ In der ländlichen Region, aus der ein Großteil von Taiwans Reis, Erdnüssen und Wassermelonen stammt, hat sich in den letzten Jahren eine Protestbewegung gebildet. Landwirte, Wissenschaftler, Umweltschützer und Studenten demonstrierten mehrfach gemeinsam in der Hauptstadt. Ihre Argumente: Luftverschmutzung, Krebsgefahr, CO2-Ausstoß, Artensterben. Und das alles für Plastik-Rohstoffe, die zum allergrößten Teil sowieso exportiert werden.

Ob die Regierung ihr Versprechen wahr machen wird, „im Zweifel für den Umweltschutz“ zu entscheiden, und das Projekt noch kippt? Vielleicht zahlen sich die langen Proteste der Austernfarmer ja noch aus. Selbst, wenn die Investoren das Werk stattdessen etwa in Indonesien hochziehen, wäre das der Beginn einer neuen Phase in Taiwans Wirtschafts- und Umweltpolitik.

Einen interessanten Bericht mit einem kurzen Video findet man bei der BBC.

Als charismatische Flagship Species, um maximale Öffentlichkeitswirkung zu erzielen, hatten die Projektgegner sich die Pink Dolphins auserkoren, eine kleine Delphinpopulation vor Taiwans Westküste, deren Lebensraum durch das Kuokuang-Projekt zerstört worden wäre.

Chemiekomplex von Formosa Plastics in Taiwan

Im Kern geht es nun um die Frage, ob Taiwan es fertigbringt, sich schrittweise von der Kunststoff- und Chemieindustrie zu verabschieden – ein Bereich, der in der Vergangenheit zu Taiwans Industrialisierung und Wirtschaftsboom beigetragen hat, der aber auch Ressourcen wie Elektrizität und Grundwasser verschlingt, die Gesundheit der Anwohner beeinträchtigt und die Umwelt extrem belastet. So gehört das Kohlekraftwerk im Mailiao-Komplex von Formosa Plastics (Yunlin County, in Sichtweite der Dacheng Wetlands) nach Angaben von Umweltschützern (Wer kann eine Quelle verlinken?) zu den 10 größten CO2-Emittenten weltweit.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

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