Eine Taiwanerin mit einem großen Traum
Ab und zu treibe ich mich in verlassenen Gebäuden herum. Es sind tolle Fotomotive, und man lernt viel über die Geschichte eines Ortes. Neulich war ich wieder im Entdeckermodus.
In einer engen Gasse mitten in Ximending, der hippen Junge-Leute-Fußgängerzone von Taipeh, entdeckte ich ein aufgegebenes Einkaufszentrum, das seine Blütezeit wohl vor mindestens 20 Jahren hatte.
Die Tür stand auf, also spazierte ich ins unbeleuchtete Erdgeschoss. Überall leere Läden hinter verstaubten Scheiben. Schilder und Aufkleber verrieten noch, was hier mal verkauft wurde.
Über die stillstehende Rolltreppe schlich ich ins Obergeschoss. Auch hier derselbe Anblick, bonjour tristesse… aber Moment!
Ganz hinten, in der letzten Ecke, brannte Licht. Durch die Ladentür sah ich jemanden hinter der Theke sitzen. Neugierig ging ich herüber und trat ein, als sei es für einen Europäer völlig normal, in Taipeh durch verlassene Einkaufspassagen zu schlendern.
Tee mit Sabrina
„Hallo! Willst Du einen Tee trinken?“ waren die ersten Worte, die ich hörte. Ich blickte ins das freundliche Gesicht einer Taiwanerin mit kurzen, blond gefärbten Haaren. Sie saß hinter der Ladentheke an ihrem Laptop. Rund um sie herum lagen und hingen bunte Stoffe, Bilder und Kleidungsstücke.
So ein nettes Angebot darf man natürlich nicht ausschlagen, also ließ ich mir einschenken, und Sabrina – so hieß sie – erzählte mir ihre Geschichte. Vor einigen Jahren reiste sie, für junge Taiwanerinnen ungewöhnlich abenteuerlich, durch Nepal und entdeckte ein Dorf in einer abgelegenen Gegend. Freundlich aufgenommen, erschrak sie aber über die ärmlichen Verhältnisse, in denen die Menschen lebten.
Besonders die Kinder in einem Waisenhaus schloss sie ins Herz. Sie habe selbst keine leichte Kindheit gehabt, sei vom Stiefvater geschlagen worden, erzählte sie mir. Die Begegnung in Nepal habe sie nicht mehr losgelassen.
Plan für Nepal
So kehrte sie zurück und fasste den Plan: Ich sammle so lange Geld, bis wir in dem Dorf eine Schule bauen können! Um das zu erreichen, verkauft sie nun farbenfrohe Schals und andere Produkte aus purer nepalesischer Kaschmir-Wolle.
Den Laden mit der ungewöhnlichen Lage stellt der Besitzer ihr umsonst zur Verfügung. Auf Laufkundschaft ist sie zum Glück nicht angewiesen, der meiste Verkauf läuft übers Internet. Als ich eintrat, bastelte sie gerade an ihrer neuen Shop-Webseite.
Große Ziele
Eine halbe Million Dollar will sie bis 2017 für Nepal zusammenbekommen, erzählte Sabrina mir. Da kann ich ihr nur die Daumen drücken.
Jedenfalls hat ihre Geschichte sich wohl schon herumgesprochen. Sie zeigte mir ein Buch, in dem auf Chinesisch ein Dutzend Taiwaner vorgestellt werden, die die Welt besser machen wollen.
Ein Kapitel handelt von ihr.
Da konnte ich natürlich nicht zurückstehen und filmte mit meinem Fotoapparat ein kurzes Video, in dem Sabrina sich und ihren Traum vorstellt.
Und was habe ich dabei gelernt? Man weiß nie, worauf man hinter dunklen Ecken stoßen kann.
Was waren Ihre überraschenden Begegnungen in Taiwan?
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