Senioren in Taiwan
Weniger Kinder, mehr Alte – nicht nur in Deutschland zerbrechen die Regierenden sich den Kopf darüber, wie das Zusammenleben in Zukunft funktionieren soll.
Taiwans Herausforderungen klingen verblüffend bekannt: Die Geburtenrate in Taiwan ist eine der niedrigsten der Welt. Dazu eine steigende Lebenserwartung (etwa 80 Jahre), das ergibt eine rapide alternde Gesellschaft. Mehr als zehn Prozent der Taiwaner haben den 65. Geburtstag schon hinter sich.
Aktiv im Alter
Um mir ein eigenes Bild zu machen, muss ich nur die Straße vor meiner Haustür überqueren. Der kleine Park hinter der Polizeiwache ist ein beliebter Treffpunkt für Senioren, die keine Lust haben, den Tag in einer engen, neonbeleuchteten Wohnung zu verbringen. Auf dem Sockel der Chiang Kai-Shek-Statue sitzen sieben oder acht Frauen, tauschen Neuigkeiten aus und haben alles im Blick – auch die Männer mit den Gehstöcken, die an einem Holztisch unter den Bäumen gegenüber stundenlang ins Brettspiel vertieft sind.
Stehe ich besonders früh auf, sehe ich Seniorengruppen bei der Frühgymnastik oder einzelne hochkonzentriert beim Schattenboxen. In vielen Parks stehen spezielle Fitnessgeräte für Ältere, damit die Gelenke nicht einrosten. Viele Taiwaner sind im Rentenalter (das hier meist um die 60 beginnt) erstaunlich fit und überholen mich mühelos auf den steilen Bergwanderwegen.
Nichts geht ohne Pflegekräfte
Genauso oft sehe ich aber pflegebedürftige Greise im Rollstuhl. Der wird normalerweise von einer jungen Frau mit südostasiatischen Gesichtszügen geschoben. Altenpflegerinnen kommen hier nicht aus Polen, sondern von den Philippinen, aus Vietnam oder Indonesien – aus Taiwans Sicht Billiglohnländer. Etwa 200.000 junge Frauen leben in Privathaushalten und versorgen alte Menschen, deren Kinder arbeiten – meist rund um die Uhr, denn Mindestlohn und Urlaubsregelungen gelten für sie nicht. Es sind harte Bedingungen, und leider hört man immer wieder von Pflegerinnen, die in den Familien wie Arbeitssklaven ausgebeutet werden.
Lesen Sie meinen englischen Beitrag über Gastarbeiter in Taiwan und ihre schwierige Situation.
Häusliche Pflege ist der Normalfall. Nur etwa zwei Prozent der Senioren in Taiwan leben in Heimen. (Interessante Infos: Experts call for better scheme for senior citizens’ care) Seine Eltern ein Leben lang zu ehren, ist eine eherne Grundregel in chinesisch geprägten Gesellschaften. Die Pflicht zum Gehorsam endet für Kinder nicht, wenn sie erwachsen werden.
Viele Paare leben ganz selbstverständlich mit den Eltern des Mannes in einer Wohnung (verheiratete Frauen zählen traditionell zur Familie des Ehemanns). Noch viel stärker als in Deutschland gilt die Vermutung: Wer seine Eltern im Alter nicht daheim versorgt, ist undankbar und egoistisch.
Ob das System noch lange funktioniert? Vor einigen Jahren erst hat Taiwan eine allgemeine Rentenversicherung eingeführt. Sechs Prozent vom Lohn zahlen Arbeitgeber nun aufs persönliche Alterskonto. Über eine Pflegeversicherung wird genauso diskutiert wie über flächendeckende Tagesbetreuung. Nur Altenheimbetreiber, die mit Senioren viel Geld verdienen, gibt es wohl noch nicht.
Eine Folge aus meiner Taiwan-Kolumne im heimatlichen Anzeigenblatt.
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