Davon, dass Taiwan eine subtropische Pazifikinsel ist, bekomme ich in meinem alltäglichen Leben wenig mit. Taipeh liegt in einem Talkessel, und bis zum nächsten Badestrand bin ich mit Bus und U-Bahn gut zwei Stunden unterwegs. Dort ist es dann wenigstens nicht überfüllt, denn Meer- und Sonnenbaden gehören nicht zu den liebsten Freizeitaktivitäten der Taiwaner. Die See ist vielen nicht geheuer: Dort lauern nach dem Volksglauben die Geister der Ertrunkenen darauf, Schwimmer in ihr nasses Reich hinabzuziehen.
Viele Insulaner können auch gar nicht schwimmen, trauen sich nur bis zur Brust ins Wasser und planschen ein wenig herum. Zurück am Strand, suchen sie Schutz unter Zeltdächern oder vermummen sich von Kopf bis Fuß, denn gebräunte Haut gilt in Taiwan als gar nicht schick. Besonders Frauen nehmen viel auf sich, um ihre vornehme Blässe zu erhalten – vom stets mitgeführten Regenschirm gegen die Sonnenstrahlen bis zur Anti-UV-Lotion mit extra viel Bleichmittel.
Für ein bisschen authentisches Bacardi-Feeling muss man sich in Taiwans Süden aufmachen und zum Beispiel zur Grünen Insel übersetzen. Die liegt 30 Kilometer vor der Südostküste mitten im Pazifik. Die Überfahrt ist berüchtigt für heftigen Wellengang, und tatsächlich machen einige Taiwaner guten Gebrauch von den großzügig ausgeteilten Papierbeuteln, während ihre Freunde hinter ihrem Rücken herumkaspern und Erinnerungsfotos knipsen.
Nach etwa einer Stunde haben sie es überstanden und die Grüne Insel erreicht: In der Mitte ein bewaldeter erloschener Vulkan, rundherum Strände, Steilküsten und skurril geformte Felsen. 3000 Menschen leben hier vor allem vom Tourismus, vermieten Zimmer und Motorroller, auf denen man die Insel in weniger als einer Stunde umrunden kann. Die in Taipeh streng durchgesetzte Helmpflicht hat sich noch nicht herumgesprochen.
Man kann hier prima ein paar Tage verbringen, an Korallenriffen schnorcheln, frische Meeresfrüchte essen und sich in den heißen Meerwasserquellen entspannen, die es weltweit nur ganz selten gibt. Leider versäumen die meisten Besucher es, einen Ort zu besuchen, der das Inselparadies in einem anderen Licht erscheinen lässt: die wichtigste Gefängnis-Gedenkstätte des Landes.
Bis 1987 wurde Taiwan als Einparteien-Diktatur per Kriegsrecht regiert. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die Kommunisten auf dem chinesischen Festland unterdrückte Taiwans Regierung jeden innenpolitischen Widerstand. Wer zu laut dachte oder das Falsche sagte, wurde weggesperrt. Die abgelegene Grüne Insel war der perfekte Ort, um politische Dissidenten verschwinden zu lassen. Touristen gab es damals natürlich keine.
In den Neunzigern wurde Taiwan demokratisch, und seit zehn Jahren ist das frühere Gefängnis offen für Besucher. Gespenstisch ist es, in den leeren Zellen zu stehen und sich vorzustellen, dass zum Beispiel Taiwans spätere Vizepräsidentin hier hinter Gittern und dicken, grün gestrichenen Holztüren Jahre ihres Lebens verbringen musste. Einige Zellen wurden von Künstlern umgestaltet, in anderen sind Fotos von ehemaligen Häftlingen, die Jahre später an diesen Ort zurückkehrten.
Dass es diese Gedenkstätte gibt, ist ein gutes Zeichen. Dass der Besuch nicht Pflicht für jedes taiwanische Schulkind ist, und dass die Verantwortlichen nie bestraft wurden, zeigt aber auch, dass Taiwans Diktatur noch lange nicht aufgearbeitet ist.
Zum Green Island Human Rights Memorial Park gibt es ein informatives englisches Blog.
Man muss nicht bis Green Island reisen, um in Taiwan eine Gefängnis-Gedenkstätte zu besuchen: Mein Eintrag über das Jingmei Prison in Taipeh.
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