Land des Lächelns?
Nun lebe ich schon länger als sechs Wochen in Taiwan – höchste Zeit, mal etwas über die Menschen hier zu schreiben. Auch auf die Gefahr hin, dass meine Eindrücke oberflächlich sind oder einseitig – es sind immerhin meine…
Taiwans Freundlichkeit: Kein Klischee
Es stimmt, was man in jedem Reiseführer liest: Die Menschen in Taiwan sind unheimlich freundlich, jedenfalls zu westlichen Ausländern. Und das ist einer der Gründe dafür, dass ich mich hier sehr wohl fühle. Ich habe z.B. mehrfach ganz erstaunliche Hilfsbereitschaft erlebt.
Einmal stand ich ratlos vor einem Stadtplan und habe die richtige Bushaltestelle gesucht, da hat mir ein etwas älterer Mann auf englisch seine Hilfe angeboten. Als er auch nicht gleich schlau wurde aus dem Plan, meinte er nur „wait here“, und schon war er unterwegs zur anderen Straßenseite, schaute dort aufs Schild, überquerte dann eine Kreuzung zu noch einer anderen Bushaltestelle, schaute auch dort aufs Schild und kam über zwei Straßen wieder zurück zu mir.
Bei anderer Gelegenheit hat sich eine Mutter an einer Bushaltestelle ihr Kind unter den Arm geklemmt und ist mit mir mehr als hundert Meter zu einer anderen Haltestelle spaziert, um sicher zu gehen, dass ich sie auch finde. So etwas wäre in Deutschland höchstens während der Fußball-WM passiert, wenn überhaupt.
Oder die Sprache. Egal, wie übel man auch daherstammelt – sobald man ein paar Worte auf chinesisch rausbringt, heißt es: „Deine Aussprache ist aber ganz toll! Wie lange bist Du hier? Erst sechs Wochen? Du lernst sehr schnell!
Sprachbarriere? Englisch in Taiwan
Viele Menschen sind froh, wenn sie eine Gelegenheit haben, ihr Englisch auszuprobieren. Wenn es auch nicht die Mehrheit ist – auf englisch im Laden einzukaufen, mit einem Taxifahrer zu reden oder Essen zu bestellen, ist fast unmöglich, unabhängig vom Alter der Person. Wer sich seiner Sprachkenntnisse aber sicherer ist und nicht befürchtet, „das Gesicht zu verlieren“, der traut sich auch.
Im Gespräch sind den Leute dann sehr auskunfsfreudig, erklären gerne alles mögliche, was mir an ihrem Land so aufgefallen ist, und interessieren sich auch für Deutschland und den Rest der Welt.
Warum sind Taiwaner so nett zu westlichen Ausländern?
Einer der Gründe für diese Freundlichkeit ist wohl ausgerechnet die internationale Isolation Taiwans. Die Menschen fühlen sich von der Welt nicht für voll genommen, weil Taiwan von kaum einem anderen Land als Staat anerkannt wird, nicht UNO- und WHO-Mitglied werden darf usw. Da sind sie jedem Ausländer dankbar, der sie besucht – denn er beweist ja sozusagen, dass ihr Land existiert und wahrgenommen wird.
Häufig werde ich gefragt: „Warum lernst Du Chinesisch in Taiwan und nicht in China?“ Dann sage ich immer „Weil Eure Regierung mich eingeladen hat“, aber auch „Weil ich lieber in einer Demokratie lebe als in einer Diktatur“. Das kommt gut an, weil es unterstreicht: Taiwan ist kein Teil der Volksrepublik. Und weil die Leute hier stolz sind auf ihre Errungenschaften, die wirtschaftlichen wie auch die politischen.
Überhaupt China. Jeder Ausländer, den ich hier getroffen habe und der sowohl das Festland als auch Taiwan kennt, sagt: die Unterschiede sind krass. In China ist für Ausländer offenbar jeder Tag ein Kampf ums Überleben. Niemand spricht englisch, man wird ständig übers Ohr gehauen, muss sich vor Taschendieben hüten. Auf den Straßen geht es dort wohl sehr ruppig zu, es wird gedrängelt und geschubst.
In Taiwan dagegen stellen die Menschen sich am U-Bahnsteig in Reih und Glied an, trennen ihren Müll und lächeln freundlich, wenn sich im Vorbeigehen Blicke begegnen.
Als Ausländer in Taiwan immer im Blickpunkt?
Angestarrt werde ich als Ausländer hier übrigens kaum. Wahrgenommen wohl, aber eher beiläufig. Eine Ausnahme sind kleine Kinder, für die so ein komischer Mensch natürlich total spannend ist. Neulich spazierte im Park eine Familie an mir vorbei, da machte das Kind große Augen und sagte dann zu seinen Eltern: 美國人“Meiguórén!“ (Amerikaner!)
Ein interessanter Text zum Thema: Warum Westler in Taiwan sich gegenseitig ignorieren
Gut möglich, dass ich als Westler hier in einer privilegierten Situation bin. Taiwan war in den letzten Jahrhunderten nie von Europäern besetzt, der militärischen Unterstützung der USA verdankt das Land seine Existenz, wirtschaftlich gelten wir als Vorbild, und groß und blond sind wir auch noch.
Anderen Gruppen mag es anders ergehen. Eine Kommilitonin aus Nicaragua erzählte, eine Freundin sei mal auf der Straße von einem Taiwaner sehr unfreundlich angegangen worden, weil er sie für eine Filipina hielt. Und die gelten hier vor allem als illlegale Einwanderer.
Diskriminierung alltäglich? Mein Blogeintrag über südostasiatische Ausländer in Taiwan
Gute Stimmung? Warum ich mich auf der Straße wohler fühle als in Deutschland
Generell kommen mir die Menschen in Taipeh sehr wach und lebendig vor. Jeder scheint immer irgendwas zu tun zu haben, ist unterwegs, beschäftigt. Ich sehe hier kaum diese leeren, stumpfen Gesichter, die in Deutschland zum Straßenbild gehören. Und auch keine missmutigen. Mag so ein Lächeln auch nicht immer tief empfundener Freude entspringen – lieber als böse Blicke ist es mir allemal.
In einer Stadt, in der Ölgemälde einfach so in der U-Bahn-Station hängen, muss man sich doch einfach wohl fühlen.
Es gibt hier kaum dicke Menschen. Außerdem sehen die meisten Frauen unheimlich jung aus. Falten? Fehlanzeige. Egal, ob 25 oder 45 – man muss meist auf das geschätzte Alter etwa sechs Jahre draufrechnen, um bei ihrem tatsächlichen Alter zu landen. Ob das am guten Essen liegt?
Was ich hier noch nie erlebt habe: Aggressivität. Keine Gruppen von Jugendlichen, die auf dicke Hose machen. Keine Stadtviertel, in denen ich mich unwohl oder gefährdet fühle. Keine aufdringlichen Verkäufer, kein aggressives Betteln.
Kurz gesagt: 我很喜歡台灣 (Ich finde Taiwan richtig gut.) Natürlich ist das hier keine Insel der Seligen, und wer länger in Taiwan lebt, lernt auch diverse Schattenseiten kennen. Aber ich hoffe, dieses Gefühl hält noch eine Weile vor.
9 Antworten
China und die chinesen sind genau so freundlich ! Und in Taipei habe ich auch genug neureiche, coole, Lifestyle arrogante erlebt. Aber besser als in Deutschland fühle ich mich immer, allein schon wegen der leckeren Küche ;-))
In sechs Wochen so allwissend ? Bin mit einer gutbürgerlichen taiwanesin verheiratet in zweiter Ehe. Zuvor war ich von 1992 bis 2006 mit einer chinesin verheiratet ebenfalls aus der oberen Mittelschicht. Ich selbst bin nichtmal studierter sondern nur gelernter Großhandelskaufman. Allerdings selbstständiger Importeur.
Peter 47
Hallo Peter, es freut mich, dass Du den Weg zu diesem schon 2008 geschriebenen Text gefunden hast. War auch für mich schön, ihn gerade noch mal Revue passieren zu lassen.
Ich kenne China nicht gut genug, um es aus eigener Anschauung beurteilen zu können, daher beziehen alle meine Beobachtungen sich immer nur auf Taiwan. Auf jeden Fall gut zu wissen, dass Du auf beiden Seiten gute Erfahrungen gemacht hast!
Viele Grüße
Klaus
Ein anderer Grund ist:
Die alte taiwanesische Gesellschaft sind gegentlich wärmer zu den Leuten, die hier nicht zu haus sind. Genannt wird „出外人“. Weil Familien bei uns generell noch eine wichtige Rolle spielen und Familien halten noch zusammen, deshalb hat man Mitgefühle mit dem, der von Heimat weitweg ist und ohne jeglicher Unterstützung seiner Familien und Verwandtschaften.
Den Milchtee gibt es auch in Europa: Meine Frau hat mir von einem taiwanesischen Café, das Milchtee anbietet, in Paris erzählt und davon Bilder gezeigt. — Übrigens: Sehr schöner positiver Blog hier! Gruß, Luo You
Milchtee, lecker! Vor allem als Bubble Tea. Für alle Unkundigen: Schwarzer Tee, Milch, Eiswürfel und Tapioca-Perlen (das sind Kügelchen aus Stärke, die eine Konsistenz wie Kaugummi haben) werden in einem großen Plastikbecher zusammengemixt und per Strohhalm getrunken.
http://de.wikipedia.org/wiki/Bubble_tea
Gibt es hier an jeder Ecke, in den USA angeblich auch schon oft. Wer es clever anstellt und dieses Konzept nach Deutschland bringt, hat ausgesorgt!
Schöner Blog, tolles Land! Trinken Sie für mich bei Gelegenheit mal einen Milchtee mit! 😉
Es ist wirklich lustig, mein Heimatland mit deinen Augen und durch dein Objektiv nochmals neu zu sehen, als wäre ich selbst auch noch nie in TW gewesen.
Ja, zum Essen: als Kind habe ich auch schon was komisches gegessen. Es hat den Erwachsenen anscheinend auch Spaß gemacht mein verkrampftes Gesicht zu sehen. Dazu gehören: Hähnchenhoden, Frösche, Tauben, Schildkröte usw…..
Ich bin nur froh dass sowas heutzutage nicht mehr der Trend ist. Nein, ganz im Gegenteil. Vegetarisch und „leicht“ essen (輕食) ist gerade groß angesagt. Ich denke auch dass sowas wie Haifisch über kurz oder lang von den Karten verschwinden wird.
真 aus Tainan.
Ah, eine der Schattenseiten… Ich habe hier mal eine Kurzumfrage gestartet. Ergebnis: In sehr teuren Restaurants wird tatsächlich gelegentlich Haifischflossen-Suppe angeboten. Bei älteren Leuten gilt das als Delikatesse, weil es angeblich gesund sein soll. Jüngere Leute machen sich aber nichts mehr daraus, weil es auch nach nichts schmeckt. Über kurz oder lang könnte es also von den Speisekarten verschwinden. Es gibt hier auch Umweltschutz-Aktivisten, die auf das Problem hinweisen.
Hier im Westen wird Taiwan ja leider kaum wahrgenommen (da fehlt wohl ein geistliches Oberhaupt mit Humor). Momentan wird allerdings über die Mafia berichtet. In den deutschen Kinos ist gerade „Sharkwater“ angelaufen, ein Dokumentarfilm eines Kanadiers, der die Ausrottung der Haie beklagt. Taiwan wird mit dafür verantwortlich gemacht, da dort der Handel mit Haifischflossen blühen soll. Ist das auch in Taipeh ein Thema? Wird in Restaurants oft Haifisch angeboten?