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Die zwei Nachbarn und der tote Fischer: Taiwan und die Philippinen

Pinoy event Taipei

Aussöhnung statt Empörung

Streit unter Nachbarn ufert gerne aus. Taiwan und die Philippinen liegen derzeit im diplomatischen Clinch. Es geht um einen Toten, um diplomatische Gesichtswahrung und das gesunde Volksempfinden. Filipinos, die in Taiwan arbeiten, stehen zwischen den Fronten.

Pinoy event Taipei

Die Sonne knallte so stark, dass die Menschen im Park sich in den Schatten der Bäume zurückzogen. Es gab gratis Mittagessen, auf der Bühne sprachen Redner von Freundlichkeit und Völkerverständigung. Angenehme Stimmung herrschte letzten Sonntag auf diesem Straßenfest in Taipeh. Taiwaner hatten eingeladen, Filipinos waren gekommen. Für die ist Sonntag oft der einzige freie Tag.

Mein Video der Veranstaltung, inkl. Interview mit einem der Organisatoren:

Der Hintergrund dieser Veranstaltung war leider nicht schön: Ein Mensch ist tot, die Regierungen Taiwans und der Philippinen streiten sich, und die fast 80.000 Filipinos, die in Taiwan arbeiten, könnten es ausbaden. Daher die Aufrufe: Seid nett zueinander!

Tod auf hoher See

Mit Schüssen auf hoher See begannen die Probleme vor knapp drei Wochen. Die philippinische Küstenwache traf auf ein taiwanisches Fischerboot. Der Ort: Gewässer, in denen beide Seiten Fischereirechte geltend machen. Was genau passierte, ist unklar. Jedenfalls eröffnete die Küstenwache das Feuer und durchsiebte das kleine Boot mit etwa 50 Kugeln, bevor sie abdrehte. Ein 65-Jähriger Fischer wurde getötet.

Was ist passiert? Taiwans offizielle Version im Video des Außenministeriums:

So nah und doch so fern? Taiwan und die Philippinen

Taiwan hat ein nicht ganz einfaches Verhältnis zu seinem Nachbarn im Süden. Die Philippinen mit ihren über 7000 Inseln und 92 Millionen Einwohnern (mehr als Deutschland) liegen Taiwan näher als alle anderen Länder, abgesehen von China. Wirtschaftlich aber spielen sie zwei Klassen tiefer. Zahllose Filipinos müssen in die Welt hinausziehen, um Geld für ihre Familien zu verdienen – oft als Seeleute.

In Taiwan erledigen sie Arbeiten, für die Einheimische nicht mehr zu gewinnen sind: Die Männer arbeiten am Fließband oder als Bauarbeiter, die Frauen als Dienstmädchen und Altenpflegerinnen. Für viele Taiwaner ist „Filipino“ gleichbedeutend mit „Gastarbeiter“, und einige werden regelrecht ausgebeutet.

Lesetipp (engl.): Taiwans „Ausländer zweiter Klasse“

Auf einige Inselgruppen im Südchinesischen Meer erheben beide Seiten ebenso Anspruch wie andere Länder der Region – ein ungelöstes Problem, das aber normalerweise nicht in Gewalt umschlägt. Fischgründe sind ein weiterer Konfliktherd. Weil die küstennahen Gewässer bald leergefischt sind, fahren die Boote immer weiter hinaus, und Zusammenstöße sind die Folge.

Screenshot von der englischen Website des ROC-Außenministeriums:

MOFA Cold Blooded Murder

Die Empörungsspirale dreht sich

Nach dem Tod des Fischers entflammte in Taiwan der Volkszorn, angeheizt durch Medien und Politiker, die sich parteiübergreifend durch betont nationalistisches Auftreten profilierten. Mindestens ein DPP-Abgeordneter war sich nicht zu blöd dazu, vor laufenden Kameras die Flagge seines Nachbarlandes zu verbrennen.

Die Reaktion der Philippinen konnte die Wogen nicht glätten – im Gegenteil. Taiwan redet von „kaltblütigem Mord“, verlangt ein offizielles Schuldeingeständnis, eine Entschuldigung der Regierung in Manila und Entschädigung für die Familie des Getöteten.

Englische Website des Außenministeriums zu dem Vorfall

Die Philippinen sprachen zunächst nur von einem unbeabsichtigten Zwischenfall und ließen einen Gesandten des Präsidenten dessen persönliche Entschuldigung ausrichten. Weil das den Taiwanern nicht gut genug war, setzten sie Sanktionen in Kraft: Anwerbestopp für Filipinos, Einfrieren der gegenseitigen Zusammenarbeit, Zurückholen der offiziellen Gesandten. Sogar Sportmannschaften, die in Taiwan antreten sollten, wurden ausgeladen.

Manila, Taipeh und der China-Faktor

Der Unmut von Taiwans Regierung lässt sich wohl zum Teil auch damit erklären, dass die Philippinen es mit ihrer „Ein-China-Politik“ begründen, warum eine offizielle Entschuldigung von einer Regierung zur anderen nicht möglich sei. Mit der selben Begründung hatte Manila Taipeh vor gut zwei Jahren brüskiert: 14 in den Philippinen festgenommene Taiwaner, die einer Straftat verdächtigt wurden, sind damals an die Volksrepublik statt nach Taiwan ausgeliefert worden.

Bald gab es Berichte, dass einige Taiwaner ihre Empörung an Filipinos auslassen, mit bösen Worten und sogar durch Übergriffe. Einige stellten sich als frei erfunden heraus, andere nicht.

Erst nach mehreren Tagen riefen Politiker dazu auf, Filipinos in Taiwan anständig zu behandeln. Zum Glück gibt es eine rege Zivilgesellschaft, die mit Aktionen wie dem Straßenfest deutlich macht: Von einigen Idioten auf beiden Seiten lassen wir uns nicht aufeinander hetzen.

Meine Fotos von der Veranstaltung

Schweigeminute Filipinos Taipei

Nach einigen Wochen Krisenstimmung können die Regierungen nun wieder vernünftig miteinander reden. Beide Seiten haben Teams von Ermittlern zur Gegenseite geschickt, die zunächst herausfinden sollen, was eigentlich genau passiert ist.

Es sieht so aus, als ob die Vernunft sich am Ende doch noch durchsetzt.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

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