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Ein Gerät, sie zu binden: Smartphones in Taiwan

Smartphones Taiwan

Der Stamm der gesenkten Köpfe

Tippst Du noch oder wischst Du schon? Der Siegeszug der Smartphones dürfte in Taiwan noch weiter vorangeschritten sein als in Deutschland. So weit, dass die Regierung vor Verkehrsunfällen durch abgelenkte Fußgänger warnt. Dabei gibt es die Dinger doch erst seit… ja, seit wann eigentlich?

Neulich im Kino: Wie üblich liefen vor dem Hauptfilm außer Werbung und Vorschauen auch einige Filmchen von Taiwans Regierungsbehörden. Da klopft sich meist das Wirtschaftsministerium kräftig auf die Schulter, weil man wieder irgendein neues Freihandelsabkommen abgeschlossen hat. Aber diesmal ging es um Leib und Leben: Völlig geistesabwesende Fußgänger entgingen auf stark befahrenen Straßen nur um Haaresbreite Zusammenstößen. Bemerkt haben sie es gar nicht, so konzentriert starrten sie auf das Smartphone in der Hand. Die Botschaft: Nicht gleichzeitig die Straße überqueren und aufs Telefon gucken!

Ich weiß ja nicht, wie sich Deutschland in den letzten Jahren verändert hat, aber hier in Taiwan hat die Smartphone-Starrerei in den letzten Jahren so um sich gegriffen, dass es für die Betroffenen ein ganz neues Wort gibt: Ditouzu (低頭族), was so viel heißt wie „der Stamm derer, die den Kopf gesenkt halten“. Manchmal lassen Dinge sich auf Chinesisch wirklich kürzer ausdrücken!

Die ewige Versuchung in der Tasche

Ganz ausnehmen will ich mich nicht. Als Spätstarter trage ich erst seit etwas mehr als zwei Jahren ein Smartphone mit mir herum. Die Versuchung, jederzeit „mal schnell“ etwas nachzuschauen, ist verdammt groß. So groß, dass ich die Dauer-Verbindung ins Netz so oft wie möglich bewusst kappe, was ein befreiendes Gefühl ist. Dann kann ich in Ruhe Andere beobachten. In der U-Bahn habe ich oft das Gefühl, dass in der Minderheit ist, wer nicht auf den Bildschirm starrt.

Überall um mich herum wischen Finger durch lange Listen von Facebook-Updates, und viele schauen auf den Mini-Bildschirmen neue Folgen ihrer Lieblings-Fernsehserie. Anders als in Deutschland gibt es in der U-Bahn von Taipeh überall schnellen Internet-Empfang, und so sticht mittlerweile schon hervor, wer Zeitung oder Buch noch auf Papier liest.

Steve Jobs und die Touchscreen-Zombies

Smartphones sind erst seit 2007 massentauglich, als Apple das iPhone vorstellte (Video). Wie immer, wenn neue Technologien das Leben durcheinanderwirbeln, herrscht kein Mangel an apokalyptischen Mahnungen. Vor 150 Jahren haben Ärzte nachgewiesen, dass die menschliche Wahrnehmung unmöglich die wahnsinnige Geschwindigkeit einer Zugfahrt verkraften kann. Heute gelten die Ditouzu ihren Kritikern als autistische Touchscreen-Zombies mit Sehschwäche und Nackenstarre.

Lesetipp: Smartphone-Apps für Taiwan-Reisende

Natürlich wird auch diese Epidemie nicht zum Weltuntergang führen. Würden Papa und Mama mit gutem Beispiel vorangehen, wären die Probleme schon viel kleiner. Leider beobachte ich immer häufiger Eltern, die ihre Kleinkinder im Restaurant mit einem Tablet-Computer ruhigstellen.

Die nächste Tech-Revolution wird tragbar

Übrigens sind Smartphones schon fast wieder Auslauf-Modelle. Als nächstes werden die Bildschirme in Armbanduhren oder gleich ins Brillengestell integriert. Ich hatte neulich Gelegenheit, ein „Google Glass“ auszuprobieren, bei dem das Display ständig oben rechts im eigenen Blickfeld sichtbar ist.

Als ich so durch die Stadt lief und gleichzeitig durch mein Adressbuch blätterte oder eine Google-Suche durchführte, kam mir die Optik von Filmen wie „Robocop“ oder „Terminator“ plötzlich gar nicht mehr wie Science Fiction vor. Aber diesen stählernen Hollywood-Cyborgs würde es auch nichts ausmachen, von einem Auto angefahren zu werden.

Also werde ich im Alltag sicherheitshalber auf so ein Gerät verzichten. Noch jedenfalls.

Und Sie, liebe Leser? Gibt es unter Ihnen noch Smartphone-Verweigerer, oder können Sie sich ein Leben ohne Touchscreen nicht mehr vorstellen?

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

4 Antworten

  1. Ja das ist die wirkliche Situation in Taiwan. Auch in Kneipe spielen einige Freunde von mir Handy-spiele(z.B Tower of Saviors)und unterhalten sich weniger mit anderen.

  2. Es liegt daran, daß es in Taiwan kein Drosselkomm gibt. Flat Rate ist wirklich Flat Rate, sowohl für DSL als auch für Smartphone. Deshalb kann man hemmungslos surfen, egal wo man ist. Mit Drosselkomm ist das unmöglich!

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